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Unter etwa 17 Prozent der Erdoberfläche, das sind gut 22 Millionen Quadratkilometer, muss mit ganzjährig gefrorenem Boden oder Fels gerechnet werden. Diese Gebiete umfassen mehr als die Fläche, des Antarktischen und des Grönländischen Eisschilds zusammen. Wenn die über lange Zeit gefrorene Erde auftaut, hat dies lokale und globale Auswirkungen auf Land, Meer und Atmosphäre – und damit auch auf den Menschen.
Niemand könne genau sagen, wo genau global gesehen Permafrost vorkommt und wie tief dieser ins Erdreich reicht, sagt Stephan Gruber, Geograf und Permafrostexperte an der Universität Zürich. Dass es in sehr kalten polaren Gebieten fast überall Permafrost im Untergrund gibt, in sehr warmen Gebieten dagegen keinen, ist klar. Die meisten Orte dazwischen aber gleichen im Untergrund einem bunten Flickenteppich aus gefrorenen und nicht gefrorenen Bereichen. «Die Heterogenität in der Verbreitung und Entwicklung von Permafrost», so Gruber, «wird unterschätzt.»
Die Kombinationsvielfalt von Topografie, Vegetation, Schneevorkommen und Untergrundmaterial führt dazu, dass es selbst auf einer Distanz von hundert Metern zu sehr starken Unterschieden in der Bodentemperatur kommen kann. «Der Permafrost ist aufgrund der Erwärmung der Atmosphäre zu einer wichtigen, aber nur schwer abschätzbaren Komponente vieler Klimamodelle geworden», sagt Gruber.
Weil Permafrost im Untergrund vorkommt und damit nicht direkt – zum Beispiel via Satelliten – kartiert werden kann, verfügt die Wissenschaft bisher über keine umfassenden Daten zu seiner räumlichen Verbreitung. Man muss aus Einzelbeobachtungen aufs grosse Ganze schliessen.
Deshalb seien bestehende Permafrostkarten und Modelle mit einer grossen Unsicherheit behaftet, sagt Gruber. «Der Charakter des ‚Flickenteppichs’ und die Unsicherheit, die in unserem Wissen besteht, lässt sich mit neuen Karten besser kommunizieren, als mit der bisher üblichen Darstellung von scharfen Grenzen der Permafrostverbreitung.»
Die globalen Meteo-Stationen, die Temperaturdaten liefern, sind nicht regelmässig auf der Erde verteilt. So gibt es zum Beispiel in entlegenen Regionen wie im Himalaya, in Tibet, Ostsibirien oder den Anden nur wenige Stationen. Zur flächenhaften Abschätzungen werden die Temperatur-Daten in der Regel interpoliert, geben also über grosse Gebiete nur berechnete und oft unsichere Werte wieder. Das erschwert die Arbeit der Permafrost-Forscher zusätzlich.
Gruber hat nun, basierend auf vorhandene globale Lufttemperaturwerte und Höhenmodelle, einen globalen Permafrost-Index auf einem 1-km-Raster berechnet. «Dieser Index erlaubt Abschätzungen, er erlaubt es aufgrund der mageren Datenlage jedoch nicht, exakte Aussagen über den Flächenanteil von Permafrost für jede Modellzelle zu machen», erläutert Gruber sein Projekt.
Der Klimaforscher hat verschiedene Varianten errechnet: Eine Normvariante, ausgehend von der momentan besten Schätzung, aber auch Varianten, die kältere und wärmere Schätzungen verwenden. Alle Varianten haben ihre Berechtigung: «Sie spiegeln die Breite der Unsicherheit in unserem Wissen wider und kommunizieren sie». Die Ergebnisse seiner Berechnungen veröffentlichte Gruber nun in der Open-Access Zeitschrift «The Cryosphere».
Die Permafrostgebiete erscheinen auf Grubers Grafiken nicht mehr als scharf voneinander abgegrenzte Regionen, wie es auf bisherigen Karten der Fall ist, sondern werden in Abstufungen über gelb, orange, blau bis dunkelblau dargestellt.
In gelber Färbung sind Gebiete eingezeichnet, in denen nur wenig Permafrost vorkommt. Diese sind dann meist auch nahe an 0°C. Blau zeigt Gebiete mit einem nahezu durchgängig und dauerhaft gefronenen Untergrund an. Der Permafrost ist hier sehr kalt und reicht bis in grosse Tiefen.
Eine Erwärmung kann in allen Gebieten – auch den heute sehr kalten – zu starken Veränderungen führen. «Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Permafrost mit dem gleichen Ernst untersucht wird wie das schmelzende Gletscher- und Meereseis», betont Gruber. Dort, wo Permafrost taut, führt das nicht nur zu Veränderungen in Ökosystemen, sondern oft auch zu Schäden in besiedelten Gebieten und an der Infrastruktur. «Es wird wärmer werden, und dabei haben Gebiete, die heute Permafrost aufweisen, ein sehr grosses Potential für unangenehme Überraschungen», sagt Gruber.
Forschung nutzbar zu machen setzt voraus, dass man sich auf Wesentliches konzentriert und dieses Wesentliche effizient vermitteln. Bezogen auf die Forschung Stephan Grubers bedeutet dies, zu wissen, wo mit Permafrost gerechnet werden muss und dass es dort zu starken Veränderungen kommen kann.
Deshalb sind seine Karten nun für Google Earth und in weiteren digitalen Formaten frei verfügbar. Die Bildlegenden erklären, was die farbigen Zonen bedeuten und dass die Karten aufgrund von Annahmen entstanden sind. «Damit relativiere ich den übertriebenen Glauben an schöne Modellbilder», sagt Gruber. «Die Datengrundlage, die wir – wie auch alle anderen Klimaforscher – nutzen, lassen nur Vermutungen darüber zu, wie sich der Permafrost wirklich verhält.»