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Ben Moore ist in aufgeräumter Stimmung. So wie eigentlich jedes Mal, wenn man ihn trifft oder mit ihm korrespondiert. Seine Mails beginnen jeweils mit «Hi Thomas» und enden mit «Cheers»(Tschüss!). Ben schert sich keinen Deut um Formalitäten. Weshalb sollte er auch. Der schlacksige Mitvierziger wirkt stets wie einer der Jungs, denen alles etwas leichter fällt. Nur stellt man sich diese eher als Surfer oder Snowboarder vor, die den ganzen Tag am Strand oder in der Halfpipe abhängen und Fun haben.
Dazu passt Moores Credo: «Das Leben ist völlig sinnlos. Deshalb sollten wir in der kurzen Zeit, die wir auf diesem Planeten verbringen, das Beste draus machen und uns amüsieren.» Das Carpe diem eines Mannes, der weiss, was hinter uns liegt und was uns noch bevorsteht. Denn Ben Moore ist kein Hallodri, der in den Tag hinein lebt, sondern Professor für Astrophysik an der Universität Zürich.
Ben hat mich in seine Wohnung eingeladen, die gleich neben dem Irchel-Campus liegt. Jetzt sitzen wir in seinem Musikzimmer und ich habe Gelegenheit, die halbnackte Schönheit aus Bronze mit dem wohlgeformten Hinterteil zu bewundern, die sich auf dem Clubtisch räkelt. Ob es mir etwas ausmache, wenn er rauche, fragt der Hausherr. Dann legen wir los. Der Anlass für unser Gespräch ist Moores Buch «Elefanten im All», das in diesen Tagen erscheint. Es ist die Quintessenz seiner Forschung und seines Nachdenkens über uns Menschen und das Universum.
Locker und eingängig geschrieben, präsentiert uns der Astrophysiker seine Version der Geschichte vom Urknall bis heute. Das ist ziemlich cool und auch ziemlich ambitioniert. Denn Moor beschränkt sich dabei nicht auf sein Forschungsgebiet, sondern er erzählt auch die Geschichte der Menschheit im Zeitraffer und erklärt uns, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Die Hirnforschung ist neben der Astrophysik die zweite grosse Leidenschaft dieses Homo universalis (vielleicht der letzte seiner Art): «Es gibt zwei grosse Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte: Wie hat das Universum angefangen und wie funktioniert das Gehirn. Beides ist sehr kompliziert.» Ob wir je wissen werden, was vor dem Urknall war, ist ungewiss. Das Gleiche gilt wohl für das Funktionieren des Gehirns.
Selbst Moores Beitrag zur Deutung der Geschichte ist originell und trotzdem nicht abwegig: Er schwärmt von den Griechen, die das rationale Denken erfunden haben und sich viele Gedankenüber die Natur und das Universum machten. Schade nur, dass es nicht im gleichen Stil weiterging, sondern die Römer und die Religion den wissenschaftlichen Fortschritt zum Erliegen brachten. Das freie Denken der Griechen wurde verdrängt durch den Militarismus des Imperium Romanum, dessen Ziel nicht neue Erkenntnisse waren, sondern Macht und Reichtum, und die Religionen, namentlich das Christentum, welche «die Menschen daran hindern zu denken. Wenn sich das wissenschaftliche Nachdenken und Forschender Griechen nahtlos weiterentwickelt hätte, könnte ich heute vielleicht in einer Raumfähre zu den Sternen fliegen», sinniert Moore. Dass dem nicht so ist, nimmt er den Römern übel.
Was nicht ist, kann noch werden. Gemäss Moore, täten wir gut daran, statt in die Rüstung in die Raumfahrt zu investieren. Denn die Verhältnisse auf unserem Planeten werden nach und nach unwirtlicher, weil die Sonne immer heisser wird. In einer Milliarde Jahren wird es auf der Erde über 100 Grad heiss sein, Meere und Seen verkochen. Dann verglüht die Sonne, und in sieben Milliarden Jahren ist unser Stern nur noch ein Weisser Zwerg, der seine letzte Energie abstrahlt, bis er zu einem kalten, unsichtbaren Schwarzen Zwerg wird. Dann sollte unsere Art definitiv auf einem anderen Planeten in einem anderen Sonnensystem sein.
Doch selbst diese Rettung ist nicht von Dauer, denn das ganze Universum, das heute bestückt ist mit Milliarden von Sternen, wird eines Tages dunkel und leer sein, weil alle Sterne verglüht sind und die Materie zerfällt. Was mit dem Urknall begann, endet im schwarzen Nichts. So lautet die Prognose von Moore und seinen Kollegen. Zu den Clous in Moores Buch gehört, dass aus diesem Nichts wieder ein neues Universum entstehen könnte. Wir werden dann aber definitiv nicht mit von der Partie sein.
Moore gibt in seinem Buch auch einiges von sich selber preis. Es ist die Geschichte eines Jungen aus dem Norden Englands, der mit seinem Vater, der Forstwart war, viel Zeit in der Natur verbrachte: «Wir waren immer draussen. Mein Vater stellte ständig Fragen, etwa, weshalb der Himmel am Abend rot ist.» Diese Neugierde gab er dem Sohn mit. Moore las Bücher über Kosmologie, und sie machten gemeinsam ein erstes physikalisches Experiment auf dem Dachboden – das Doppelspaltexperiment. Heute kann Moore einige der Fragen seines Vaters beantworten, aber noch nicht alle.
Neben der Neugierde und der Leidenschaft für die Wissenschaft ist ihm auch das Bedürfnis geblieben, sich in der freien Natur zu bewegen: Er ist passionierter Kletterer und Bergsteiger, der auch in diesem Bereich die Herausforderung sucht, etwa in den Felswänden des Yosemite-Nationalparks in den USA (um dort zu klettern, ging er an die Universität von Kalifornien in Berkeley) oder bei der Besteigung des Mont Blanc. Moore ist auch ein begeisterter Snowboarder. Nur mit dem Skifahren klappt es nicht so richtig. Doch egal, Snowboarden ist ohnehin viel cooler und sieht besser aus.
Moore ist ein Tausendsassa, dem fast alles zu gelingen scheint: «Ich wollte Wissenschaftler werden, Musik machen, schreiben. Ich wollte alle diese Dinge tun, weil sie Spass machen.» Gesagt, getan: Moore hat als Astrophysiker eine steile Karriere hinter sich, er war Professor in Durham (mit einem Stipendium der Royal Society), bevor er 2001 als 35-Jähriger nach Zürich berufen wurde, um hier eine Forschungsgruppe für computergestützte Astrophysik aufzubauen, «die beste der Welt, ohne arrogant sein zu wollen», sagt Moore.
Was braucht es dazu? «Das Geheimnis ist, die besten Leute einzustellen, zum Beispiel solche, die die Programme für unsere Computersimulationen schreiben. Oder solche, die einen Supercomputer bauen können.»
Dank dem Supercomputer zBox, den Moore zusammen mit Joachim Stadel entwickelt hat, kann in Zürich die Entstehung von Galaxien simuliert werden. Im Moment arbeitet Moores Team mit Hochdruck daran, herauszufinden, wie Planeten wie die Erde entstanden sind. Die Wissenschaftler lockt Moore nach Zürich, indem er ihnen die Vorzüge erklärt: «Stabilität, Struktur, Lebensstandard.» Und die Berge sind nicht weit. «It’s nice here», sagt Moore, «und man kann hier genauso gut arbeiten wie in Oxford oder Cambridge.»
Daneben hat Moore noch Zeit, ein populäres Buch zu schreiben und als Gitarrist mit der Elektorrockband MILK67 aufzutreten. «Elefanten im All» hat er nächtens geschrieben, in etwa drei Monaten. Alles in allem habe es aber trotzdem rund drei Jahre gedauert, erzählt Moore: Ich habe zwei Jahre gebraucht, um herauszufinden, wie ich schreiben soll.» Als er am Buch arbeitete, hat er kaum geschlafen, «doch ich schlafe ohnehin wenig, schlafen kannst du, wenn du tot bist.» Zum Abschied drückt er mir eine CD in die Hand «MILK67 & Professor Moore» und sagt: «Über die Musik haben wir jetzt gar nicht gesprochen.» Vielleicht ein andermal.