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Seine Studienzeit war schrecklich. Martin Meyer litt unter dem chaotischen Betrieb an der Freien Universität Berlin nach dem Mauerfall. Ost- wie Westdeutsche wollten in der heutigen Hauptstadt studieren – die Universität platze aus allen Nähten. Der gebürtige Düsseldorfer erlebte Dozenten, die nur ihr Skript herunter leierten, sich für seine Anliegen nicht interessierten und ihm seine wichtigeste Frage «Wohin führt das Ganze?» nicht beantworteten.
Trotz dieses denkbar schlechten Einstiegs liess er sich die Freude am Fach Neuropsychologie, das sich mit den Zusammenhängen zwischen Gehirnaktivitäten und Verhalten beschäftigt, nicht nehmen. Sein Weg führte ihn von Leipzig, wo er 2000 am neu gegründeten Max-Planck-Institut für kognitive Neurowissenschaften promovierte, über Edinburgh nach Zürich. Seit neun Jahren ist er nun am Lehrstuhl für Neuropsychologie an der UZH, mit einem zweijährigen Abstecher ans Institut für Neuroradiologie am Universitätsspital Zürich.
Geholt hatte ihn Ordinarius Lutz Jäncke, der Martin Meyer seit zwanzig Jahren kennt und sein Leben nicht nur in der Wahl der Universität beeinflusste, sondern auch in seiner Unterrichtsweise. Ohne vom Blatt abzulesen «Mir imponiert seine Art, Wissen zu vermitteln», sagt Meyer über seinen Mentor, der vor fünf Jahren selbst mit dem Lehrpreis ausgezeichnet wurde. Wie dieser hält Martin Meyer die Vorlesungen frei und achtet darauf, Lehrbuchwissen mit aktuellen Geschehnissen oder individuell Erlebten zu verknüpfen.
«Die Studierenden sollen überall Gehirne sehen und sich über die Lernveranstaltung hinaus mit dem Stoff auseinandersetzen», sagt Meyer. Er fordert sie auf, ihm Bilder zu senden, die an unser Denkzentrum erinnern und erhält Fotos von Meringue oder Nüssen. Er zeichnet jeweils das beste Foto mit dem «Hirn des Jahres» aus. Auch setzt sich der Neuropsychologe in den Vorlesungen kritisch mit Zeitungsartikeln über vermeintliche Sensationsbefunde aus der Hirnforschung auseinander.
Die Studierenden machen bei der Suche nach geeignetem Material gerne mit. «Ich möchte Wissenschaft auf lebendige Weise vermitteln, ohne dabei albern zu wirken.» Zu Beginn eines Semesters machte er denn auch gleich klar, dass die Qualität der Vorlesung steigt, wenn die Studierenden diszipliniert, kooperativ und neugierig sind.
Die Studierenden sind begeistert von ihrem Dozenten, der vor kurzem zum Assistenzprofessor für Plastizitäts- und Lernforschung des alternden Gehirns ernannt wurde, und haben ihn in einer Online-Umfrage für den diesjährigen Lehrpreis vorgeschlagen. Seine Vorlesung «Grundlagen der Biologischen Psychologie I», die im Wintersemester jeweils um acht Uhr morgens stattfand, musste per Video in einen zweiten Saal übertragen werden, weil der grösste Hörsaal des Hauptgebäudes für die rund 600 Studierenden nicht ausreichte.
«Mein Job ist es, Studierende optimal auf die Prüfungen vorzubereiten», sagt der 43-Jährige. Meyer gibt klar vor, was prüfungsrelevant ist. Früher habe er den Fehler gemacht, dass er den Studierenden möglichst die aktuellsten Forschungsergebnisse vermitteln wollte. Das irritierte bisweilen, da diese meist nicht mit dem Inhalt der vorgegebenen Lehrbücher übereinstimmten. Heute geht er nur noch in höheren Semestern auf seine Forschungen zu Neurokognition von Sprache oder Dyslexie ein. «Es ist wichtig, dass Studierende vor dem Abschluss des Studiums auf dem neusten Stand der Forschung sind», sagt Meyer. In einem Vorstellungsgespräch könnten Absolventinnen und Absolventen dann deutlich machen, dass derjenige, der sie einstellt, einen echten Wissentransfer einkauft.
Martin Meyer will Orientierung vermitteln und seinen Studierenden deutlich machen, was sie mit ihrem Wissen anfangen können. Fragen, die ihm als Student nicht beantwortet wurden. Er möchte zeigen, dass der Vorlesungsinhalt für jeden interessant ist. «Auch wenn jemand später als Kinderpsychologe tätig sein will, muss er eine Ahnung davon haben, wie Pharmaka auf das Gehirn wirkt», sagt Meyer und fügt lächelnd an, «auch etwa zu wissen wie Viagra funktioniert, kann bei einem Smalltalk zur Unterhaltung beitragen».
Das Thema des diesjährigen Lehrpreis heisst «Begeisterung für Wissenschaft», doch was begeistert einen Professor, der begeistert? Meyer überlegt lange. Dann: «Das Leben an sich in seinen Herausforderungen und Möglichkeiten ist begeisternd. Denn alles was wir erleben, findet im Gehirn statt. Das Gehirn ist das Mass aller Dinge, das bringe ich auch meinen Studierenden bei.»