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Hoch über der Stadt, im Turm der Universität, fand am Montag zum zweiten Mal in diesem Jahr der «Talk im Turm» statt. Die Redaktoren des Magazins der Universität Zürich, Thomas Gull und Roger Nickl, hatten zwei Ausgrabungsexperten als Gäste zum Gespräch geladen. Der Paläontologe Heinz Furrer und der Archäologe Christoph Reusser erzählten über ihre wissenschaftliche Arbeit im Feld und das Glück, fündig zu werden.
Christoph Reusser gräbt seit 2007 nach dem etruskischen Spina, einer Stadt, die an der Mündung des Po lag und 290 vor Christus unterging. Die Menschen in Spina lebten an einer Lagune wie die Venezianer, und sie paddelten mit Booten auf Kanälen von Haus zu Haus. Sie lebten in einer sorgfältig geplanten Stadt mit rechtwinkligen Wasserstrassen. Die Einwohner trieben Handel bis nach Griechenland. Sie waren wohlhabend, weil sie mit dem Gold des Altertums handelten: mit Salz. Sie konnten sich sogar in Delphi, dem Sitz des wichtigsten griechischen Orakels, ein mit Kostbarkeiten gefülltes Schatzhaus leisten. Viele dieser Details aus dem Leben in Spina weiss man aus archäologischen Funden.
Ihren Wein tranken die Leute aus Spina übrigens mit Gewürzen und Wasser gemischt, erzählte Archäologieprofessor Christoph Reusser und zeigte dem Publikum eine Weinkanne aus Griechenland, die damals als Trinkgefäss benutzt wurde. Die zahlreich erschienenen Zuschauer waren zuvor mit einem Wein aus der Region empfangen worden und konnten sich nun, kulinarisch gestärkt, in vergangene Welten entführen lassen.
Der Paläontologe Heinz Furrer hatte gleich zwei Fundstücke mitgebracht: die fossilen Überreste eines Pachypleurosaurus und das Modell eines Nothosauriers. Dieser Meeressaurier konnte zwei bis drei Meter lang werden und lebte im Trias. Den Pachypleurosaurus hat der Paläontologe an der Ducanfurgga, Davos, ausgegraben. Für Laien erstaunlich: Damals, vor 240 Millionen Jahren, war das Gebiet um Davos Teil eines Meeresbeckens. «Im Ducan-Gebiet befand sich offenbar eine Lagune», sagte Furrer. Erst später erfolgte die Alpenfaltung. Der Nothosaurus lebte in dieser Lagune, das Reptil bewegte sich hauptsächlich im Wasser. Seine Lieblingsspeise war Fisch.
Beide, der Paläontologe wie der Archäologe, arbeiten im freien Feld. Sie müssen Wind und Wetter trotzen, sind Stechmücken und Hitze ausgesetzt. Ob das nicht eine schreckliche Plackerei sei, fragte Moderator Roger Nickl. «Nein, im Gegenteil, es macht Spass, mit Bagger, Schaufel oder Bürste zu arbeiten und sich Stück für Stück in die Schichten der Vergangenheit zu graben», sagte Reusser. Für seine Studierenden sei es auch wichtig, Erfahrungen im Feld zu sammeln. Anders als beim Bücherstudium müssten sie sich praktisch erproben, mit Werkzeugen arbeiten, ein Gefühl für die Erde und deren Schichten bekommen und im Team zusammenspannen.
Hinzu komme, dass man Phantasie entwickeln müsse, um die Fundstücke korrekt zu rekonstruieren. Abends, beim Waschen der Scherben und mit schmerzendem Rücken, entstünden zuweilen Glücksgefühle, wenn man entdecke, was man da tatsächlich zu Tage gefördert habe. Das grösste Glück sei es jedoch, im untergegangenen Spina auf ein Haus zu stossen, in dem Überschwemmungen nicht alles verwüstet haben.
Unter ganz anderen Bedingungen gräbt Heinz Furrer: auf 2700 Metern Höhe, in einer unwirtlichen Steinwüste. Tagsüber ist es heiss und nachts bitter kalt. Der Fundort Ducanfurgga wurde zufällig von Soldaten entdeckt, die 1942 Wache schoben, aus Langeweile mit ihren Nagelschuhen scharrten und das versteinerte Gerippe eines eidechsengrossen Sauriers fanden. Vierzig Jahre später suchte Furrer systematisch in diesem Gebiet und entdeckte im Ducanfurgga ein Saurierparadies.
Seine Ausbildung als Geologe habe ihm bei den Ausgrabungen geholfen, die richtigen Stellen zu entdecken, sagte Furrer. Als erstes fanden er und sein Team versteinerte Fischreste oder Fischschuppen. Sie gruben weiter und entdeckten dabei sehr intakte Fossilien, zum Beispiel den Pachypleurosaurus.
Für beide wissenschaftlichen Disziplinen, die Archäologie und die Paläontologie, benötige man Geduld, handwerkliches Geschick und Fantasie, bilanzierten die Forscher am Ende der Veranstaltung. Fantasie, weil man aus Bruchstücken und mit dem nötigen Fachwissen Vergangenheit rekonstruiere. «Unser Interesse ist es, zu erfahren, wie die Menschen in Spina gelebt haben», sagte Reusser. Das Interesse sowohl der Archäologen als auch der Paläontologen richte sich nicht auf Objekte, sondern auf die vergangene Welt, die in den Objekten bruchstückhaft überliefert sei.