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Spätestens seit Umberto Ecos Romanwelterfolg «Der Name der Rose» ist das Mittelalter in der Populärkultur allgegenwärtig. Wanderhuren, Ritter, Päpste, Ketzer und Klosterfrauen – sie alle finden heute ein grosses Publikum; Zuschauer und Leser lassen sich gerne ins so genannte «dunkle Zeitalter» zurückversetzen.
Das verstärkte Interesse am Mittelalter macht sich auch an den Universitäten bemerkbar. In Deutschland hat sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Anzahl der Lehrstühle für mittelalterliche Geschichte verdoppelt. 2001 wurde an der Universität Zürich das Kompetenzzentrum Zürcher Mediävistik gegründet, welches sich mit unterschiedlichen Veranstaltungsformen um die Vermittlung mediävistischer Forschung nicht nur an Fachkollegen, sondern auch an Studierende und die interessierte Öffentlichkeit bemüht.
Doch welche Berufsfelder erschliessen sich für den frisch gebackenen Mediävisten?
Laut Bundesamt für Statistik über die Berufstätigkeit der Absolventinnen und Absolventen an Schweizer Universitäten geht hervor, dass ein Drittel der Geisteswissenschaftler als Lehrer in Schulen tätig sind. Das sind etwas weniger als noch vor 20 bis 30 Jahren. Das zweite Drittel verteilt sich auf den öffentlichen Dienst, auf Bibliotheken, Archive und Museen und nicht zuletzt die Universitätsverwaltungen. Die restlichen Absolventen eines geisteswissenschaftlichen Studiums arbeiten bei privaten Firmen und Verbänden, Dienstleistungsanbietern oder als Selbstständige. Von durchschnittlich etwa 50 Lizentiandinnen und Lizentianden an einem Lehrstuhl in mittelalterlicher Geschichte promovieren etwa 12, drei habilitieren und zwei erlangen eine Professur.
Auch in den mediävistischen Fächern ist das Spektrum möglicher Berufe sehr gross. Das zeigte allein schon die Besetzung des Podiums, das sich am vergangenen Donnerstag an der UZH zusammengefunden hatte, um über die Frage «Wozu Mittelalter?» zu diskutieren. Gekommen war ein zahlreiches, vorwiegend junges Publikum. Auf dem Podium: Jakob Kuratli Hüeblin, Archivar des Stiftsarchivs St. Gallen, Susanna Bliggenstorfer, Direktorin der Zentralbibliothek Zürich, Markus Brühlmeier, freischaffender Historiker, Claudia Zey, Professorin für Geschichte des Mittelalters, und Wolfram Schneider-Lastin, E-Learning-Koordinator an der UZH. Die Germanistin Susanne Uhl und die Historiker Juliane Schiel und Rainer Hugener hatten die Veranstaltung initiiert und moderierten den Abend.
«Das Studium der mittelalterlichen Geschichte und Literatur, Sprachen und Kulturen ist keine Berufsausbildung, es vermittelt Kompetenzen», sagte Rainer Hugener vom Staatsarchiv Zürich. Das zeigten exemplarisch die Lebensläufe der Podiumsteilnehmer.
Jakob Kuratli Hüeblin, Archivar des Stiftsarchivs St. Gallen, wurde relativ schnell nach seinem Studium und einer kurzfristigen Anstellung bei einer Schweizer Bank zum Archivar. Er ist davon überzeugt, dass kompetente Experten, die mit mittelalterlichen Dokumenten umgehen können, nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Er hofft, dass an den Universitäten die Hilfswissenschaften, wie etwa die Lehre von den alten Schriften, die Paläografie, oder die Inschriftenkunde, die Epigrafik, nicht zu sehr zurückgedrängt würde.
Auch Professorin Claudia Zey beschritt eine Laufbahn ohne Umwege. Schon als Schülerin hatte sie Freude an Latein und Griechisch. «Richtig gepackt hat es mich jedoch im Studium, bei der Quellenarbeit, das war so faszinierend, dass ich meinen Schwerpunkt aufs Mittelalter legte», sagte sie. Nach dem Studium wollte sie Lehrerin werden, doch man bot ihr eine Assistentenstelle an, und schliesslich wurde sie Professorin an der Universität Zürich.
Eher im Zickzackkurs – aber nicht weniger erfolgreich – verliefen die beruflichen Wege der anderen Podiumsteilnehmer. Die erste Stellenbewerbung schrieb Susanna Bliggenstorfer mit 52 Jahren. Hinter ihr lagen eine Assistenz am Romanischen Seminar und 16 Jahre als Stabsstellenleiterin im Prorektorat Lehre an der Universität Zürich, inklusive einer Habilitation. «Stabsstellen sind Sackgassen», sagte sie. Und als sie dann auch noch bemerkt hatte, dass der Einstieg in den Wissenschaftsbetrieb für Fast-50-Jährige unmöglich ist, bewarb sie sich mit Erfolg auf den Chefposten der Universitätsbibliothek Bern und wechselte im September 2008 als Direktorin an die Zentralbibliothek Zürich.
Markus Brühlmeier, frei schaffender Historiker, hat sich nach einer Mechanikerlehre für ein Studium entschieden und die Freiheit genossen, die er an der Universität erfuhr. Schon während und nach dem Studium war er als Mittelalterexperte für Ausstellungen oder als Autor gefragt. Er könne von seiner Arbeit sehr gut leben, sagte Brühlmeier.
Wolfram Schneider-Lastin ist promovierter Mediävist, Inhaber einer Firma für Satzherstellung und Beratung wissenschaftlicher Editionen und Publikationen, Dozent für Computerphilologie, gelernter Schauspieler und arbeitet bei Theaterproduktionen als Schauspieler, Sänger, Dramaturg und Autor. An der Universität Zürich ist er heute als E-Learning-Koordinator tätig.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Podium betonten, dass ihr Interesse am Mittelalter durch die Auseinandersetzung mit Quellentexten im Studium immer brennender geworden sei, woran vor allem auch prägende Lehrerinnen- und Lehrerfiguren einen massgeblichen Anteil hatten.
Sie waren sich einig: Berufliche Karrieren sind nach einem mediävistischen Studium nicht nur im universitären Umfeld möglich. Wichtig sei es, sich früh mit unterschiedlichen Anstellungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Und Weiterbildungen nicht zu vergessen.