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Rechtswissenschaftliches Symposium

Tod im Gefängnis

Wenn sich ein Mensch im Gefängnis tötet oder in einen Hungerstreik tritt, ist das mediale Echo gross. Doch ein vertiefter rechtlich-medizinischer Diskurs zum Thema Tod im Gefängnis lässt bisher auf sich warten. Ein Symposium an der Universität Zürich geht das Thema jetzt an. Am 13. September treffen sich Mediziner und Rechtswissenschaftler, um über das Sterben in Haft zu diskutieren. 
Marita Fuchs

Jedes Jahr setzen in der Schweiz etwa sechs bis acht Gefangene ihrem Leben ein Ende – die meisten von ihnen in Untersuchungshaft. «Bei Vergleichen zwischen Suizidraten unter Gefangenen und der Normalbevölkerung ergeben sich für Gefängnisse jeweils stark überhöhte Raten, dies auch wenn die unterschiedliche Alters- und Geschlechterverteilung berücksichtigt wird», sagt Rechtsprofessor Martin Killias von der Universität Zürich.

Doch er relativiert: Frühere Studien in England und in der Schweiz würden darauf hinweisen, dass Straffällige allein schon durch ihre Lebensumstände weit überhöhte Risiken nicht nur für Suizid, sondern auch für Unfälle und gewaltsame Todesarten aufweisen. Insofern sei es sehr fraglich, ob die Gefängnisumwelt  zur Erhöhung des Suizidrisikos beitrage und ob die hohe Suizidhäufigkeit in Gefängnissen nicht eher mit Merkmalen dieser Population zusammenhänge.

Martin Killias ist einer von mehreren ausgewiesenen Experten, die auf der Tagung am kommenden Dienstag, 13. September, an der Universität Zürich über das Thema Tod im Gefängnis diskutieren.

Strafanstalt: Verantwortlich für Leib und Leben der ihr anvertrauten Gefangenen.

Todeswunsch respektieren

Der St. Galler Mediziner Christian Kind wird aus der Sicht des Mediziners zum Thema Hungerstreik im Gefängnis Stellung nehmen. Seiner Ansicht nach muss der Entscheid des Schweizer Bundesgerichts, dass Zwangsernährung die persönliche Freiheit des Gefangenen nicht beeinträchtige, in Frage gestellt werden. Die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen verlange, dass der – bei voller Urteilsfähigkeit und freier Willensbildung – geäusserte Entscheid zum Hungerstreik auch bei drohender Todesfolge zu respektieren sei. Diese für die Ärzteschaft verbindlichen Regeln verlangen also, in diesem Fall von einer Zwangsernährung Abstand zu nehmen.

Von Kanton zu Kanton unterschiedlich

Rechtsprofessorin Brigitte Tag von der Universität Zürich wird erläutern, dass eine explizite Regelung zum Umgang mit dem Hungerstreik im Freiheitsentzug in vielen Kantonen nicht vorhanden ist. Allgemein gelte jedoch, dass die Vollzugsverantwortlichen und Vollzugsmediziner eine Garantenstellung für Leib und Leben der ihnen anvertrauten Gefangenen innehaben.

Inhalt und Grenzen der hiermit verbundenen Pflichten, vor allem wenn der urteilsfähige Hungerstreikende Hilfe ablehnt und seinen Tod für den Fall, dass seine Forderungen nicht erfüllt werden, zumindest in Kauf nimmt, sind jedoch nicht geklärt.

Für den Arzt gelte es grundsätzlich, drei Pflichtenkreise zu beachten: der medizinische, die Selbstbestimmung des Patienten und allfällige Vollzugspflichten. Ersterer befasst sich damit, ob die Zwangsernährung im konkreten Fall medizinisch überhaupt verantwortbar ist. Kommt der Arzt zu einem gegenteiligen Schluss, könne die Durchführung der Zwangsernährung aus keinem Grund erzwungen werden. Ist die Zwangsernährung medizinisch geboten und vertretbar, müssen der zweite und dritte Pflichtenkreis beachtet werden, meint Tag. Es gehe darum, wer über die Durchführung der Zwangsernährung entscheidet.