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Sie seien froh, sagen Ambrose und Robert, zusammen mit Freunden in die Schweiz gekommen zu sein: «Das Leben ausserhalb von Universität und Campus ist für uns manchmal einschüchternd.» Und das liegt nicht allein am Kulturschock. Beim Ausgang im Kreis 4 für Drogenverkäufer gehalten zu werden – das nehmen die Austauschstudenten aus Uganda noch mit Humor. «Wenn man aber in der Tram merkt, dass niemand neben einem sitzen will, ist das schon komisch.»
Ambrose und Robert studieren Social Sector Planning and Management an einer der beiden Partneruniversitäten der UZH in Afrika – der Makerere University in Ugandas Hauptstadt Kampala. Im Rahmen eines interdisziplinären und transnationalen Forschungsprojekts zwischen dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich und dem Child Health and Development Centre der Makerere University verbringen die beiden zusammen mit drei Studienkolleginnen das Semester in Zürich – zur Auswertung und Analyse von Feldforschungsdaten.
«Diese Kooperation», sagt Gitte Beckmann, Assistentin am Völkerkundemuseum und mitverantwortlich für das Projekt, «ist in dreierlei Hinsicht einmalig.» Erstens bekommen Studierende im Rahmen ihrer universitären Ausbildung nur selten Gelegenheit, sich mit Bachelor- oder Masterarbeiten an einem transnationalen Forschungsprojekt zu beteiligen. Zweitens ist neu, dass ein solches Projekt einen beidseitigen Austausch der beteiligten Studierenden beinhaltet; dass also anschliessend an einen Aufenthalt Schweizer Studierender in Uganda Nachwuchsforscher der Partneruniversität nach Zürich kommen – «die ersten Austausch-Studenten aus Subsahara-Afrika».
Und drittens sind Ambrose und Robert gehörlos und damit die einzigen Studierenden mit dieser Behinderung, die in diesem Semester Vorlesungen und Seminare an der UZH besuchen. «Denn Gehörlose», so Beckmann, «können in der Schweiz erst seit letztem Jahr Matura machen.»
Fünf Schweizer und fünf ugandische Studierende sind am Projekt zum Thema «Disability and Technology» beteiligt. Dank einem Dolmetscher, der die Ugandan Sign Language ins Englische übersetzt, ist die Verständigung mit Ambrose und Robert kein Problem. Gitte Beckmann erklärt Ziel und Zweck der Forschungsarbeiten: «Grundsätzlich geht es darum herauszufinden, was in Uganda unter dem Begriff Behinderung – als soziale Barriere – überhaupt verstanden wird – in Abhängigkeit von historischen, kulturellen und sozialen Kontexten. Und in einem zweiten Schritt untersuchen wir, mit welchen erlernten und praktizierten Fähigkeiten behinderte Menschen dort ihren Alltag meistern.»
Denn beobachten lässt sich immer wieder, dass westliche Hilfe nicht oder nur ungenügend greift, «eben weil die politische Situation oder auch die Infrastruktur des Landes eine andere ist und über Behinderung in der Gesellschaft auch ganz anders gedacht und debattiert wird als bei uns. Die Erfahrungen und Fähigkeiten behinderter Menschen im Land werden von westlichen Hilfen oft nicht berücksichtigt.»
Ramona und Francesca, die Ethnologie an der UZH studieren, haben im Rahmen des Projekts die Sommermonate in Uganda verbracht – zur Feldforschung und um Land und Leute kennenzulernen. Sie seien sehr herzlich von ihren Gastgebern der Makerere University aufgenommen worden, erzählen die Studentinnen. Durch die Unterstützung vor Ort hätten sie zudem schnell Kontakte knüpfen können zu Institutionen, sozialen Einrichtungen und humanitären Organisationen, die behinderte Menschen betreuen und Hilfsgüter verteilen, sowie zu politisch aktiven Gruppen von Menschen mit Behinderung.
Francesca, die während ihres Forschungsaufenthalts gelernt hat, sich in Gebärdensprache zu verständigen – «um Zugang zu dieser Kultur innerhalb der Kultur zu bekommen» – untersuchte, wie Gehörlose und Schwerhörige in Uganda mit ihrer Behinderung umgehen. Eine ihrer Erkenntnisse: Die analogen Hörgeräte, oft ausgemusterte Modelle, die von NGOs kostenlos an Betroffene verteilt werden, bringen den Menschen kaum Nutzen. Zu hoch ist der Lärmpegel, vor allem in Ugandas Städten, als dass die Geräte zuverlässig funktionierten. Und sind die Batterien erst einmal aufgebraucht, mangelt es an Ersatz.
Zu ähnlichen Ergebnissen ist auch Ramona in ihrer Studie gekommen. Die Bachelorstudentin besuchte eine Reihe von Primarschulen in einem ländlich geprägten Bezirk westlich von Kampala. «Ich wollte die Situation von Schulkindern dokumentieren, die aufgrund ihrer physischen Voraussetzungen Mobilitätseinschränkungen erfahren.» Was für technische Hilfsmittel stehen ihnen zur Verfügung? Wie weit sind die Schulwege und wie oft fehlen diese Kinder im Unterricht? Hegen Mitschüler Vorurteile? Und wie gehen Lehrer und Eltern mit der Lage behinderter Kinder um? Ein Grundproblem auch hier: «Bei der Verteilung technischer Hilfen wird viel zu wenig darauf geachtet, welche realen Bedürfnisse die Menschen haben und wie ihre konkreten Lebensbedingungen aussehen.»
Rollstühle zum Beispiel, für asphaltierte Bürgersteige konstruiert, werden oft ausgemustert, weil sie für die Strassenverhältnisse im Land schlicht unbrauchbar sind oder Ersatzteile beziehungsweise finanzielle Ressourcen zur Reparatur fehlen. «Ich habe Kinder gesehen», erzählt Ramona, «denen nichts anderes übrig blieb, als sich mit Hilfe sehr rudimentärer Krücken fortzubewegen.» Sich abgrenzen und Gewissenskonflikte aushalten – auch das habe sie in den drei Monaten Afrika gelernt. So schwer es manchmal fiel, den Menschen wieder und wieder erklären zu müssen, «dass man nicht zum Helfen gekommen war.»
Die gesammelten Daten gilt es nun wissenschaftlich auszuwerten und in den entsprechenden theoretischen Kontext einzubetten. Ambrose und Robert engagieren sich in der «Uganda National Association for The Deaf» und der «National Union of Disabled Persons of Uganda», ihnen erscheinen Fragen nach Anwendungsmöglichkeiten dringlicher; die Wissenschaftlichkeit des Projekts ist ungewohnt für sie.
«Darüber haben wir in den letzten Wochen viel diskutiert: In welcher Form können unsere Forschungsergebnisse zurück nach Uganda fliessen?», sagt Beckmann. Für nächsten Sommer ist nun eine Art Workshop geplant, zu dem die ugandisch-schweizerische Forschungsgruppe NGOs vor Ort einladen will. Ambrose und Robert sind von der Idee begeistert – und signalisieren: Thumbs up!