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Wieso gibt es Sex? Auf diese simple Frage haben Evolutionsbiologen bis heute keine befriedigende Antwort gefunden. Die geschlechtslose Fortpflanzung wäre unter «ökonomischen» Gesichtspunkten eigentlich viel effizienter, da bei der sexuellen Vermehrung mit getrennten Geschlechtern nur ein Teil der Lebewesen Nachkommen zur Welt bringt. Dennoch hat sich im Laufe der Evolution die sexuelle Vermehrung weitgehend durchgesetzt.
Warum dies so ist, versuchen verschiedene Theorien zu erklären – bisher ohne Erfolg. Denn ein grosses Problem dabei ist, dass sich diese Theorien empirisch nur schwer überprüfen lassen. Es gibt zwar einzelne Tierarten, die sich sowohl sexuell als auch asexuell fortpflanzen; doch üblicherweise unterscheiden sich bei diesen Arten die Individuen, die sexuell gezeugt wurden, auch in anderen Merkmalen von den asexuell gezeugten, so dass ein direkter Vergleich kaum mehr aussagekräftig ist.
Christoph Vorburger, SNF-Förderungsprofessor für Evolutionäre Ökologie am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich und der EAWAG in Dübendorf, und sein Doktorand Christoph Sandrock vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich haben nun jedoch entdeckt, dass diese zentrale Frage der Evolutionsbiologie bei einer bestimmten parasitären Wespenart empirisch untersucht werden könnte.
Die beiden Forscher haben im Rahmen ihrer Studie die Blattlauswespe Lysiphlebus fabarum untersucht, von der man schon seit längerem weiss, dass sie sich auf beide Weisen fortpflanzen kann. Vorburger und Sandrock konnten zeigen, dass sich asexuelle und sexuelle Individuen bei dieser Wespenart praktisch nicht unterscheiden – ausser eben, dass sie sich anders fortpflanzen. Die genetischen Unterschiede zwischen den Individuen sind also nicht grösser, als dies in einer Population ohnehin der Fall wäre.
Bei den Wespen, die sich sexuell fortpflanzen, entstehen die Weibchen aus befruchteten Eizellen, die Männchen hingegen aus unbefruchteten Eizellen. Bei den asexuellen Wespen hingegen bringen die Weibchen ohne Befruchtung nur Töchter zur Welt. Vorburger und Sandrock wollten wissen, welche genetischen Faktoren darüber entscheiden, ob sich eine Wespe geschlechtlich oder ungeschlechtlich fortpflanzen wird.
Überraschenderweise stellte sich heraus, dass dieser fundamentale Unterschied offenbar nur gerade von einem einzigen Gen kontrolliert wird. Anhand von Kreuzungsversuchen konnten die beiden Wissenschaftler zudem nachweisen, dass das Merkmal rezessiv vererbt wird. In der dritten Generation ihres Versuchs fanden sich genau 12,5 Prozent Weibchen, die sich asexuell vermehren – das ist just so viel, wie von den Mendelschen Vererbungsgesetzen für ein rezessives Merkmal vorausgesagt wird.
Welches Gen die Fortpflanzungsweise bestimmt, wissen Vorburger und Sandrock noch nicht. «Wir konnten nur nachweisen, dass sich das Merkmal wie ein einziger genetischer Faktor verhält, und wir kennen bereits einen Mikrosatelliten, also einen genetischen Marker, der sich in der Nähe des entscheidenden Gens befindet», erklärt Vorburger. «In einer weiterführenden Studie möchten wir diese Frage nun beantworten.»
Die Erkenntnisse von Vorburger und Sandrock sind nicht nur für die Evolutionsbiologie von Interesse, sondern auch für die Schädlingsbekämpfung. Blattlauswespen wie L. fabarum werden für die biologische Schädlingsbekämpfung eingesetzt, da diese Wespen ihre Eier in die Blattläuse pflanzen und die Schädlinge dadurch töten. Da bei den sexuellen Wespen nur die Hälfte der Individuen einen effektiven Betrag zur Schädlingsbekämpfung leistet – nämlich die Weibchen, die ihre Eier in die Blattläuse legen – könnte die Effizienz der Methode möglicherweise verbessert werden, wenn dafür asexuelle Wespen verwendet würden. «Denn dann sind alle Individuen Weibchen und können Blattläuse töten», sagt Sandrock.
«Aber es könnte auch sein, dass die höhere Effizienz nur kurzfristig ein Erfolg wäre», wie Vorburger festhält. «Denn bei der asexuellen Vermehrung entstehen genetisch einheitliche Linien. Es gibt also keine genetische Durchmischung mehr, mithin also auch keine Anpassung an veränderte Bedingungen.» Und genau diese Anpassungsfähigkeit, so glauben viele Evolutionsbiologen, ist es letztlich, warum sich in der Natur die sexuelle Vermehrung durchgesetzt hat – auch wenn sie auf den ersten Blick weniger ökonomisch zu sein scheint.