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Der Bedarf an Orientierung und Sinn war nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges gross. Während einige in Kommunismus oder fanatischem Anti-Kommunismus eine Art neuen Glaubens fanden, zog es andere eher zu rational-wissenschaftlichen Ansätzen.
In einem geplanten Forschungsprojekt will der Neuzeithistoriker Philipp Sarasin zeigen, dass populärwissenschaftliche Bücher und Zeitschriften zur Zeit des Kalten Krieges der wichtigste Vertriebskanal für solche neuen Weltbilder waren: «In der Populärwissenschaft wird wissenschaftliches Wissen zu Orientierungswissen.» Dies geschieht, indem das partikuläre Wissen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder zu einem Ganzen zusammengefügt wird.
Entsprechend zeigten sich in diesen Medien tendenziell immer auch Formen des religiösen Glaubens. Sie wollten den Leserinnen und Lesern zeigen, dass unser Dasein nicht vergeblich ist, auch wenn es noch so fragwürdig erscheint.
So wird der Leser einer Publikation der damals bekannten Reihe «Kosmos» 1949 auf die Transzendenz verwiesen: «Mündet nicht die gewaltige Schau, die wir uns Schritt für Schritt erkämpft haben, in ein ehrfürchtiges Erschauern vor dem grössten Wunder, der unendlichen Einheit alles Lebens und seiner stetigen Schöpfungserneuerung?» Daraus lasse sich Zuversicht schöpfen, dass unser Dasein nicht vergeblich ist: Wir können nur hoffen – und glauben.
Ob das noch ein christlicher Glaube sei, bleibe offen, so Sarasin. Zumindest aber sei es eine Verbindung von Wissen und Glauben: eine Populärwissenschaft, die Sinn stiften will. Entsprechend kamen in den populärwissenschaftlichen Publikationen diverse christliche, pantheistische oder sonstige transzendentale Formen des Glaubens vor.
Die schweizerische Kulturzeitschrift «Du» zum Beispiel fokussierte in jener Zeit nicht nur auf Kunst und Literatur, sondern immer auch auf die Biologie – eine Biologie der Anschauung und des Staunens. Entsprechend waren qualitätsvolle Naturfotografien ein integraler Bestandteil der Hefte. Durch die Schönheit der Fotografien wurde die naturwissenschaftliche Erklärung überhöht. Für Redaktor Walter Corti etwa zeigt das Heft «göttliche Wunder am eigenen, heimischen Weg».
In den 1960er Jahren hatte sich diese Metaphysik in der Populärwissenschaft gemäss Sarasin schon ziemlich abgekühlt. Dafür war mit der Verbindung von Darwinismus und Molekulargenetik ein neues, definitiv nachreligiöses Weltbild am Entstehen.
Julian Huxley, Evolutionsbiologe und Autor, schlüpfte gleich selber in die Rolle desjenigen, der ein Glaubenssystem entwirft. Er war auf der Suche nach einem neuen Humanismus und fand in der Evolutionsbiologie einen wichtigen Bezugspunkt dafür: «Der Mensch ist Teil eines umfassenden evolutiven Ablaufs, in dem er unabwendbar eine entscheidende Rolle spielt.»
Irgendeine Art von Religion sei für den Menschen wohl notwendig, war Huxley überzeugt. Die Religion der nahen Zukunft werde aber an das Wissen glauben. Er wollte also, so folgert Sarasin, aus der Evolutionsbiologie eine Religion machen: ein Basiswissen, an das man schlicht glauben müsse.
Dabei hoffte Huxley auch, der Mensch könne sich höher entwickeln – wozu nicht zuletzt eine planmässige, eugenische Züchtung mithelfen sollte. «Die Idee einer rationalen Gesellschaftsplanung und Menschheitsverbesserung unter dem Zeichen eines neuen Humanismus war ein weiteres Merkmal der populärwissenschaftlichen Biologie nach 1945», sagt Sarasin.
Die Hoffnung Huxley’s, dass Religion in den Glauben an das Wissen überführt werden könne, sollte sich allerdings nicht bewahrheiten. Mit dem Ende des Kalten Krieges und den neu auftauchenden Verunsicherungen verschafften sich neue Formen der Religiosität mediales Gehör. Dazu gehört für Sarasin der Kreationismus, die wörtliche Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte. Dieser will Wissen und Glauben in genau jenem Wissensfeld wieder zusammenführen, das Huxley längst erobert glaubte.