Navigation auf uzh.ch
Frühe Fotografie in islamischen Ländern bildet den diesjährigen Schwerpunkt der Vortragsreihe an der Universität Zürich, die Markus Ritter, Assistenzprofessor für Geschichte der Islamischen Kunst, organisiert hat. Sie befasst sich mit kulturvergleichender Fotografieforschung aus historischer und theoretischer Perspektive. Thema sind Fotografiepioniere aus Iran, Ägypten und der arabischen Halbinsel – siehe auch das Video, in dem Markus Ritter den ersten einheimischen Fotografen auf der arabischen Halbinsel vorstellt: den Arzt Al-Sayyid Abd al-Ghaffar aus Mekka.
Vor allem die Fotos des 19. Jahrhunderts sind Thema der Vortragsreihe, aber auch deren Einfluss auf die heutige Fotografie des Irans kommt zur Sprache. Was viele nicht wissen: Iran kann sich mit grossen Kunstzentren wie Berlin oder New York messen, und das trotz – oder sogar gerade wegen – der strengen Restriktionen nach der islamischen Revolution 1979. Die heutigen Künstler versuchen die Grenzen des Darstellbaren auszuloten und berufen sich dabei auf die Tradition islamischer Fotokünstler des 19. Jahrhunderts.
So zum Beispiel die 37-jährige Shadi Ghadirian aus Teheran: In einer ihrer Fotoreihen setzt die Künstlerin im Atelier traditionell gekleidete Iranerinnen mit westlichen Alltagsgegenständen ins Bild. Eine Frau mit Tschador trägt lässig ein Kofferradio auf der Schulter, eine andere posiert mit einem Staubsauger.
«Die Objekte sind Chiffren, die in Iran anders verstanden werden als in Europa», sagt Markus Ritter. Zum Beispiel das Kofferradio: Teheraner Jugendliche ziehen an Wochenenden oft und gerne mit Ghettoblaster in die Berge, um dort ungestört zu feiern. «Das Atelierbild des 19. Jahrhunderts dient der Künstlerin als Folie, die sie mit Attributen der Moderne bestückt», sagt Ritter.
Shadi Ghadirian kann sich in ihrer Kunst auf eine lange Tradition abstützen. Fotografiert wurde in Iran schon am Hof der Kadscharen-Dynastie, deren Regentschaft von 1779 bis 1925 dauerte. In den 1840er Jahren etablierte der Herrscher Nasir ad-Din Schah die Porträtfotografie, damals noch mit der Technik der Glasplattenkamera. Nasir ad-Din Schah war selbst ein enthusiastischer Amateurfotograf und schoss Erinnerungsfotos vom Leben am Hofe.
Die Atelierbilder mit eher offiziellem Charakter, die damals entstanden, basieren wiederum auf alten Bildmotiven und Buchillustrationen. Auch Albumblätter (für sich allein stehende Bilder) gehörten zum Kanon, im Unterschied zu anderen Regionen des islamischen Kulturraums.
«Damit gab es eine visuelle Tradition, an die die Fotografie des späten 19. Jahrhunderts leicht anknüpfen konnte», erläutert Ritter. Damals entstanden Fotos, die wie alte Gemälde mit Schrift versehen wurden. Aber auch ganz eigene Bildkompositionen «erfanden» die frühen Fotografen: Einige brachten zum Beispiel eine neue Dynamik in Gruppenporträts, indem sie Personen leicht schräg und aneinander gelehnt posieren liessen.
Mit der Machtübernahme der Pahlavi im Jahr 1925 wurde mit jeglicher Tradition gebrochen. Eine radikale Verwestlichung setzte ein, was sich auch auf die Fotografie auswirkte.
Jetzt, Jahrzehnte später, entwickeln moderne iranische Künstler wieder ein Interesse an den künstlerischen Formen des 19. Jahrhunderts. Sie erobern sich die traditionelle Bildsprache zurück, die sich nun als eigenständige Kunstsparte durchsetzt. Und das sehr erfolgreich, wie die Bilder von Shadi Ghadirian beweisen, die international gefragt sind.