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Ich liebe Dich! Haben Sie schon versucht, diese Bekundung ohne Worte auszudrücken? Hierzulande mag dies nur besonders einfühlsamen oder aber ausnehmend kreativen Köpfen gelingen. Verglichen mit etwa ostasiatischen Gesellschaften sind wir gewohnt, fast nur über die gesprochene oder geschriebene Sprache zu kommunizieren. Mit nonverbalen Kommunikationsformen umzugehen hingegen, sind wir schlicht zu wenig geübt, sowohl in der sendenden wie auch der empfangenden Rolle.
In der empirischen Religionsforschung sieht sich der Forschende jedoch nicht selten mit Kommunikationsformen konfrontiert, welche über die sprachlichen Dimensionen hinausgehen. Religiöse Symbolsysteme wenden sich auf ganz unterschiedlichen Darstellungsebenen an ihre Rezipienten, sie sprechen alle Sinne an.
Wie gelingt es dem Forschenden nun aber, auch nonverbale Momente und Kommunikationsformen adäquat zu erfassen und in einer Form zu beschreiben, die den vorgefundenen Ereignissen am ehesten entspricht? Wie können Reduktionen und Verzerrungen vermieden werden, die durch den Übersetzungsprozess vom Nonverbalen in einen schriftlichen Text – die bislang übliche Präsentationsmanier wissenschaftlicher Forschungsergebnisse – unmittelbar entstehen? Wie kann etwa ein Gesichtsausdruck, der ein klares Nein signalisiert, während gleichzeitig verbal ein Ja gesprochen wird, angemessen gedeutet und übersetzt werden? Und in welcher Diktion sollen die Forschungserkenntnisse präsentiert werden, damit sie auch für die untersuchten Akteure zugänglich sind und gleichzeitig den Rezipienten genügend Spielraum für die eigene Interpretation lassen?
Für meine aktuelle Forschung beschloss ich, neben Bleistift und Notizbuch auch eine Videokamera in den Rucksack zu packen, mit der Absicht, meine Forschungsergebnisse in Form eines ethnographischen Dokumentarfilms zu präsentieren. Über mehrere Wochen begleitete ich Fusspilger auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien sowie Globetrotter auf den Backpacker-Pfaden in Kambodscha, Laos und Thailand. Die Untersuchung hat zum Ziel, die ähnlichen Strukturen der beiden gemeinhin als divergierend wahrgenommenen Reisearten herauszuarbeiten und einander gegenüberzustellen.
Der Fokus richtet sich dabei auf die zeitgleiche Entwicklung der beiden Reisearten zu touristischen Boomindustrien, auf die Akteure, deren Voraussetzungen und Motivbildung sowie auf die Struktur, Praxis und die Arten des Unterwegsseins. Dabei wird der Zeit vor und nach der eigentlichen Reise ebenso Beachtung geschenkt, weil diese einen beträchtlichen Teil der inneren Reise ausmacht, welche mit der äusseren Reise ständig einhergeht.
Eine Reise über mehrere Wochen in einem von Alltagspflichten und -sorgen befreiten Raum, in welchem der Tagesplan stündlich neu gestaltet werden kann, gewährt genügend Zeit zum Nachdenken und bietet Platz für neue interkulturelle Begegnungen und Bekanntschaften, ohne sich dabei weiter verpflichten zu müssen. Dies wiederum kann neue Einsichten über sich selbst und das Leben in der eigenen Gesellschaft zur Folge haben – die Reise gewissermassen als ein selbstauferlegtes und persönliches Übergangsritual. Wozu nun aber die im Reisegepäck mitgeführte Kameraausrüstung?
Eine über mehrere Wochen dauernde Reise in einer täglich anderen und fremden Umgebung ist mit intensiven Ereignissen und Begegnungen, aber auch mit Anstrengungen und Emotionen verbunden. Viele dieser Momente spielen sich auf einer nonverbalen Ebene ab, die nur schwer mit Worten zu beschreiben beziehungsweise nur mit Abstrichen in einen schriftlichen Text zu übertragen sind. Eine Kamera hingegen kann neben den sprachlichen Momenten auch visuelle und auditive sowie Ereignisse auf der Handlungs- und Gebärdenebene aufzeichnen und diese, ohne einen Übersetzungsprozess zu durchlaufen, synchron wiedergeben.
In diesem Sinne versuche ich die Kamera als wissenschaftliches Erhebungsinstrument einzusetzen, das einerseits meine täglichen Beobachtungen der äusseren wie auch der inneren Reise festzuhalten vermag und andererseits katalysierend auf verbale und nonverbale Kommunikationsprozesse wirkt.
Die Kamera zwingt mich zudem, genauer hinzusehen und zuzuhören, meine Beobachtungen also sensibilisierter und detailgetreuer durchzuführen, da nicht nur in Wort- und Satzkategorien gedacht werden muss, sondern auch in Bild-,Ton- und Sequenzbegriffen. Weiter müssen die filmischen Sätze bereits im Feld «geschrieben» werden, da kosmetische Eingriffe am Schnittplatz nur bedingt möglich sind.
Ein wachsendes Interesse an audiovisuellen Methoden und Präsentationsformen im sozial- und kulturwissenschaftlichen Bereich scheint vorhanden zu sein, wie beispielsweise die Projektfinanzierung meiner Forschung über die Fusspilger- und Backpacker-Reisen durch den Schweizerischen Nationalfonds zeigt, die klar als filmische Dissertation deklariert ist.
Auch die weltweite Zunahme an wissenschaftlichen Filmfestivals und -foren sowie die vorjährigen Erfolge der nationalen audiovisuellen Werkschauen «Science et Cité Cinéma» in Bern oder des «Regard Bleu Festivals» in Zürich lassen auf ein vermehrtes Forschen mit der Kamera hoffen. Im Zeitalter der intermedialen Inszenierungen ist der Umgang mit Kommunikationsformen zwischen, über und hinter den Zeilen zunehmend gefragt.