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Bei Professor Martin E. Schwab kommt einiges zusammen. Neben der Koleitung des Hirnforschungsinstituts der Universität Zürich auch eine Professur in Neurosciences an der ETH; die beiden Aktivitäten hat er im Neuroscience Center Zurich gebündelt, und er steht dem NCCR «Neural Plasticity and Repair» vor; dann laufen fünf Studien unter seiner Federführung, zum Teil in Zusammenarbeit mit internationalen Forschergruppen und dem Pharmakonzern Novartis …
Doch in erster Linie liegt viel Hoffnung auf zumindest eine teilweise Heilung von Querschnittlähmung auf Martin Schwabs Schultern.
Angefangen zu hoffen hat die Wissenschaftsgemeinschaft in den fünfziger Jahren, als die beiden Neurologen Rita Levi-Montalcini und Viktor Hamburger einen Nervenwachstumsfaktor entdeckten (wofür sie 1986 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhielten).
Auch Martin Schwab spezialisierte sich als Postdoktorand auf die Nervenwachstumsfaktoren. 1985 kam er als Extraordinarius ans Institut für Hirnforschung nach Zürich und entdeckte dort mit seiner Arbeitsgruppe, dass es neben wachstumsfördernden Faktoren auch Nervenwachstums-Hemmstoffe gibt. Diese Proteine sind in der Hülle der Nervenzellen ansässig und verhindern, dass einmal getrennte Nervenstränge im Rückenmark oder Gehirn wieder nachwachsen können. Dadurch erreichen die Befehle aus dem Gehirn das Rückenmark nicht mehr – der Patient ist querschnittgelähmt.
Schwab entdeckte anschliessend den potentesten Wachstumsverhinderer in den Hüllen der Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark und nannte ihn Nogo-A. Seit 2000 entwickelte er in Kooperation mit dem Pharmakonzern Novartis einen Antikörper gegen menschliches Nogo-A. Und legte damit den Grundstein für einen neuen Therapieansatz bei Querschnittlähmung.
Verstärkt wurde die Hoffnung, dass hier in Zürich eine Heilungsmöglichkeit für Querschnittlähmung entwickeln werden könnte, durch vielversprechende Versuche mit rückenmarkverletzten Ratten: Erwachsene Ratten, bei denen die Wachstumshemmer durch einen spezifischen Antikörper ausgeschaltet worden waren, zeigten ein spontanes Nachwachsen der verletzten Nervenbahnen über weite Strecken des Rückenmarks. Im Verhaltenstest – beim Laufen, Klettern, Futterkügelchen-Ergreifen und Essen – zeigten die Ratten erstaunliche funktionelle Erholungen.
Den Forschern war es gelungen, Nogo-A mit Antikörpern zu überlisten und die verletzten Nervenzellen zu neuem Spriessen und Weiterleiten von Impulsen zu bringen.
Dass diese Resultate die Erwartungen und die Hoffnungen auf eine baldige Heilung von Querschnittlähmung in die Höhe schnellen lassen würden, war klar.
Würden sich die Versuche an Tieren auf Menschen übertragen lassen?, war die Frage, die alle umtrieb. Theoretisch ja, antworteten die Forscher, denn das Nogo-A von Ratten und von Menschen funktioniert im Prinzip gleich. Doch bis sich aus theoretischen Erkenntnissen praktischer Nutzen gewinnen lässt, ist es ein weiter Weg. Die Forschungsgruppe um Schwab tat sich mit Teams in den USA, in England, Deutschland und Italien zusammen, um möglichst schnell voranzukommen.
Seit 2006 laufen nun im Paraplegikerzentrum Universitätsklinik Balgrist in Zürich und an mehreren Kliniken in Europa und Kanada klinische Versuche mit Patienten, die noch nicht lange querschnittgelähmt sind (zu Beginn einer Nervendurchtrennung oder -quetschung sind die Regenerationschancen am höchsten). Die klinischen Versuche kombinieren den Einsatz der Antikörper gegen Nogo-A mit einem physiotherapeutischen Training auf dem Laufband. Die Resultate stehen noch aus, die Projektdauer ist bis 2014 angelegt.