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Evolutionsbiologie

Fadenbakterien: mal lang, mal kurz

Die Evolution vom Einzeller zum Vielzeller erhöht den Reproduktionserfolg, so die gängige Theorie. Eine neue Studie der Universität Zürich zeigt am Beispiel von Fadenbakterien, dass dem nicht so sein muss. Die Geschwindigkeit, mit der Bakterien sich teilen und absterben, kann ebenfalls Vielzelligkeit entstehen lassen.
Adrian Ritter

Am Anfang waren die Einzeller. Vielzelligkeit war einer der ersten Schritte in der Evolution auf dem Weg zu komplexen Lebensformen. Fadenbakterien sind die ältesten und einfachsten bekannten Vielzeller. Sie treten zwar manchmal in einzelliger Form auf, können aber auch lange Fäden bilden, die bis zu 600 Zellen enthalten.

Fadenbakterien: Sind bisweilen als Einzeller anzutreffen, können aber auch, wie hier im Bild, vielzellige, lange Fäden bilden.

Wann aber treten sie einzellig, wann mehrzellig auf? Warum entstand im Laufe der Evolution immer wieder Vielzelligkeit? Die gängige Evolutionstheorie besagt: Vielzeller können sich besser vermehren, weisen also eine erhöhte «Fitness» auf.

Das muss aber nicht immer so sein. Forschende am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften und am Institut für Mathematik der Universität Zürich konnten mit Bakterienkulturen und Computersimulationen zeigen, dass selbst bei derselben «Fitness» Fadenbakterien ihre Länge verändern und zwischen Ein- und Vielzelligkeit wechseln.

Vielzellig und zurück

Abhängig ist dies gemäss der im «Journal of the Royal Society Interface» veröffentlichten Studie von der Populationsdynamik der Bakterienkultur – also davon, mit welcher Geschwindigkeit sich Zellen in einer Population teilen und absterben.

Die Studie zeigt, dass während Phasen exponentiellen Wachstums vielzellige Bakterien, also lange Fäden, vorherrschen. In Phasen stabiler Populationsgrösse treten die Bakterien mehrheitlich entweder als Einzeller oder als mehrzellige, aber kurze Fäden auf.

«Das leuchtet ein: Wenn eine Zelle stirbt, zerfällt der Faden in zwei kürzere Teile, bewegt sich also wieder ein Stück in Richtung Einzelligkeit. Vielzelligkeit tritt in Wachstumsphasen auf, wenn die Todesrate der Zellen gering, ihre Geburtsrate aber hoch ist», sagt Valentina Rossetti, Doktorandin am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften. 

Paradigmenwechsel in der Evolutionstheorie

In der bisherigen Theorie habe man vergeblich nach Modellen gesucht, welche die Populationsdynamik als Umweltbedingung von Zellen berücksichtigt, so Rossetti: «Dass nicht nur Selektionsvorteile zu Vielzelligkeit führen, ist ein eigentlicher Paradigmenwechsel in der Evolutionsbiologie.»

Möglich gemacht hat diesen Paradigmenwechsel die Zusammenarbeit zwischen Mathematikern und Biologen, was die Wissenschaftler einen Bogen schlagen liess zwischen theoretischem Modell und experimentellem Ansatz. Praktische Anwendungen der neuen Erkenntnisse stehen zwar nicht im Vordergrund, sind aber mit weiterer Forschung nicht auszuschliessen, da auch manche menschlichen Krankheitserreger fadenförmig sind.

Das Team um Valentina Rossetti will vorerst neue, noch präzisere Modelle und Laborexperimente entwickeln. Für die Grundlagenforscherin steht dahinter auch die Frage, unter welchen evolutionären Bedingungen bei komplexen vielzelligen Organismen die Entwicklung von der Populationsdynamik unabhängig wurde.