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Völkerkundemuseum: «Aufschlussreiches Borneo»

«Ein nettes, ganz primitives Häuschen»

Die Schweiz war keine Kolonialmacht. Dennoch waren auch Schweizer Händler und Wissenschaftler im Dienst ausländischer Rohstoff- und Handelsunternehmen fernab der Heimat tätig. Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich rollt eine dieser spannenden Biographien auf. Das Leben des jungen Berner Geologen Wolfgang Leupold und seiner Familie in Niederländisch-Indien 1921–1927.
Sascha Renner

Ein wenig abgewetzt wirkt der Ledergriff am Kameragehäuse. Er zeugt vom intensiven Gebrauch des Apparats. Aber insgesamt hat die Contessa Nettel, eine seit 1919 produzierte Balgenkamera, die Strapazen in den Tropen gut überstanden. Ihr Besitzer, der Berner Geologe Wolfgang Leupold, hat damit über 200 Platten belichtet, von denen nun eine Vielzahl als stark vergrösserte Abzüge im Völkerkundemuseum zu sehen ist. Sie versetzen den Besucher ins Borneo der 1930er-Jahre und in die abenteuerliche Welt einer jungen Schweizer Familie fern der Heimat.

Ankunft am Weihnachtstag in Jakarta

Mit 26 Jahren, gerade eben an der Universität Bern in Geologie promoviert, geht der junge Berner Leupold 1921 in Antwerpen an Bord eines Frachtschiffs nach Niederländisch-Indien. Mit dabei ist auch seine Frau Erika, die er kurz zuvor geheiratet hat. Die Seereise scheint dem Paar sehr zu gefallen, obwohl Wolfgang bei Sturm an Seekrankheit leidet. Am Weihnachtstag trifft der Dampfer im heutigen Jakarta ein. Ein Aufnahme zeigt den jungen Erdölprospektor im hellen Anzug und mit Tropenhelm hinter dem Dreibeinstativ seiner Kamera am Quai.

Wolfgang Leupold (ganz links) auf Exploration, Insel Bunyu, Nordost Borneo, 1923: Geologische Arbeiten im Auftrag einer Ölfirma.

Bald nimmt Leupold seine Arbeit auf: Er soll im Auftrag einer Ölfirma ein unerschlossenes Gebiet grossräumig geologisch aufschlüsseln. Kleine Fläschchen mit Gesteinsproben und grossblättrige Karten mit geologischen Schichtverläufen zeugen von seiner akribischen Arbeit. Fotos zeigen einheimische Hilfsarbeiter, Wasserläufe und Bohrtürme sowie das einfache Feldlager mit Leupolds Hütte, in deren Palmwedeldach eine Schweizerfahne steckt.

Leben in verschiedenen Welten

Wie breit Leupolds Interessen sind, belegen die zahlreichen Aufnahmen von Angehörigen ethnischer Gruppen, denen er auf seinen ausgedehnten Reisen ins Landesinnere begegnet. Kommentare auf der Rückseite der Fotos  erläutern Details zu Kleidung und Tätigkeit der Porträtierten. Leupold spricht bewundernd von einem «Prachtskerl» von einem Jäger oder der beeindruckenden Fertigkeit der Einheimischen beim Herstellen von Einbäumen.

Die Leupolds leben wenn immer möglich ausserhalb der Erdölsiedlungen. «Ein nettes, ganz primitives Häuschen» auf Stelzen, berichtet Erika, bewohnen sie auf der Insel Bunyu. Der Fluss überflutet ihren mit Bananenstauden bestellten Garten mit unaufhaltsamer Regelmässigkeit – denkwürdige Erlebnisse für die Familie, die in ihren zahlreichen Notizen und Fotografien neben den Bohr- und Prospektionsarbeiten auch immer wieder Alltägliches und Privates festhält.

Erika Leupold in Sabang, Insel We, 1921: Leben fernab der Heimat.

Eine der Aufnahmen zeigt den kleinen Sohn Urs auf einem Schaukelpferd vor dem Wohnhaus aus Bast und Bambus. Rührend muten die Bemühungen der Leupolds an, ein normales Familienleben fernab der Heimat zu führen. Im Sonntagskleid und in hohen, hellen Schuhen posiert Erika auf der Veranda ihres Hauses mitten im Dschungel. Und im Hausinnern mischen sich Erinnerungen an die Heimat mit indonesischen Souvenirs: Bilder tief verschneiter Alpenlandschaften hängen neben einer Mundorgel, einem aus einer Kalebasse gefertigten Blasinstrument.

Dem Kolonialismus ein Gesicht geben

Der Reiz dieser Ausstellung besteht gerade darin, dass sie Weltgeschichtliches in der Geschlossenheit einer Familiengeschichte anschaulich macht. Das Abstraktum des Kolonialismus bekommt so ein Gesicht. Die persönliche Risikobereitschaft und die gewaltigen Anstrengungen, begehrte Ressourcen mit simpler Technik auszubeuten, machen staunen. Gleichzeitig wird die Vermessenheit und Absurdität des gigantischen, kolonialen Unternehmens insgesamt erlebbar.

Dass die Ausstellung differenzierte Einsichten ermöglicht, ist neben dem wissenschaftlichen Personal des Völkerkundemuseums, vorab Paola Wyss-Giacosa und Andreas Isler, auch den Nachkommen von Wolfgang Leupold zu verdanken. Sie übergaben die in der Familie zerstreuten Gegenstände, Dokumente und Fotografien kürzlich dauerhaft dem Völkerkundemuseum. Dieses präsentiert die Sammlung nicht nur in einer Ausstellung, sondern dokumentiert sie darüber hinaus in einem attraktiven, reich bebilderten Ausstellungskatalog.

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