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Jerusalem wird von Judentum, Christentum und Islam gleichermassen als heilige Stadt beansprucht und ist seit Jahrtausenden ein Brennpunkt der Religionsgeschichte. Etliche Male wurde die Stadt von verschiedenster Seite erobert, zerstört und wiederaufgebaut. Bis heute finden sich die wichtigsten Heiligtumer aller drei monotheistischen Religionen nur einen Steinwurf voneinander entfernt.
Während Juden an der Westmauer der einstigen Tempelplattform beten, ist der Platz darüber für Muslime just der Ort, von wo der Prophet Muhammad mit seinem Pferd gen’ Himmel geritten ist. Nur unweit davon schliesslich preisen Christen in der Grabeskirche Gott und seinen Sohn, der nach ihrem Glauben dort für sie gestorben und auferstanden sei.
In Jerusalem verschmelzen religiöse Vergangenheit und Gegenwart zu sehr unterschiedlichen Horizonten. Entsprechend sind die drei Religionen in Jerusalem zwar sichtbar, aber auf unterschiedliche Weise.
Der Islam ist in Jerusalem unübersehbar und unüberhörbar, nicht zuletzt durch den fünfmaligen Ruf des Muezzins, der Ende Juni schon kurz nach drei Uhr morgens einsetzte («Das Gebet ist besser als der Schlaf») und abends gegen halb zehn von den grün beleuchteten Minaretten den Tag beschloss. Allgegenwärtig, möchte man meinen – und doch ist es keineswegs selbstverständlich, dass heutige Besucher diese Gegenwart und ihre Geschichte mit gleicher Aufmerksamkeit wahrnehmen wie jene von Juden und Christen.
Zwischen Klagemauer und Sicherheit
Die jüdische (Wieder-)Beanspruchung Jerusalems findet in der Stadt vielfältigen Ausdruck: in der Kleidung orthodoxer Frommer ebenso wie im Gedränge von Gruppen und Familien, die aus dem ganzen Land oder Übersee als Touristen, zu einer Bar Mitzva an der Westmauer oder zu einer Hochzeit angereist sind; im Nebeneinander der unzähligen Toraschulen ebenso wie in archäologischen Parks und Museen, einer weltweit wohl einzigartigen historisierenden Vergegenwärtigung von Vergangenheit; in der Omnipräsenz israelischer Flaggen ebenso wie in den unvermeidlichen Sicherheitsmassnahmen.
Die christliche Präsenz kann sich zwar nicht auf staatlichen Support stützen, unübersehbar ist sie allemal, zumal christliche Pilger (bzw. Touristen aus West- und Osteuropa sowie aus den USA) einen wesentlichen Beitrag zur Ökonomie der Stadt leisten.
Anders die Präsenz der Musliminnen und Muslime: Trotz des gewichtigen Status’ Jerusalems als des dritten Wallfahrtsziels des Islam begegnen sie einem hier nur selten als Pilger, vielmehr als Händler, manchmal Gastgeber. Insofern ist die Gegenwart des Islam in Jerusalem paradoxerweise verhaltener, diskreter als die der anderen Religionen.
Dass dies in erster Linie den politischen Umständen geschuldet ist, liegt auf der Hand. Sie machen den Besuch von Jerusalem für Zürcher Studienreisende unendlich viel einfacher als für muslimische Pilger oder palästinensische Bäuerinnen aus benachbarten Dörfern der Westbank.
Unterschätzte Bedeutung
Reisende aus Europa mögen um die traditionsgeschichtlichen Verbindungen und Verwandtschaften der in Jerusalem praktizierten Religionen wissen, sie laufen wegen ihres eigenen kulturellen, vielleicht auch religiösen Hintergrunds und aktueller Darstellungsprioritäten dennoch stets Gefahr, die Bedeutung der islamischen Geschichte und Gegenwart der Stadt zu unterschätzen. Zwar sind der Haram und die grossen Moscheen Teil jedes Besuchsprogramms. Aber der Zugang zu ihnen und ihren Gläubigen erschliesst sich westlichen Besuchern nicht leicht.
Einen Eindruck davon gewann die Zürcher Reisegruppe indirekt durch die Schwierigkeiten, die sich unserem Besuch im Innern des Felsendoms und der al-Aqsa-Moschee stellten. Da beide Moscheen restauriert werden, ist derzeit nur Musliminnen und Muslimen der Zugang gestattet.
Je höher die Schwelle, desto grösser das Begehren – erst recht nach einem Vorschein des Paradiesgartens. Dass uns dank des Entgegenkommens des islamischen Waqf, der für die Moscheen verantwortlichen Behörde, dann doch noch der Eintritt ermöglicht wurde, wird vielen unvergesslich bleiben. Vielleicht wuchs in den Tagen des Wartens auch das Verständnis für die Sorge, mit der die Muslime bemüht sind, ihre Hoheitsrechte auf dem Haram zu bewahren.