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Herr Birchler, die Finanzwelt durchlebt im Moment turbulente Zeiten. Müssen wir uns Sorgen machen?
Urs Birchler: Die Lage auf den internationalen Finanzmärkten ist tatsächlich angespannt, auch im historischen Vergleich. Wir stehen in der grössten Krise seit der Depression der 1930er-Jahre. In die Krise hineingeraten sind wir über einen kleinen Wirtschaftsbereich, den Markt für unterklassige Hypotheken in den USA. Daraus wurde eine Finanzkrise, die nach einer ersten Beruhigung in eine Krise der Staatsfinanzen übergegangen ist. Diese Krise scheint in eine Wirtschaftkrise zu münden, deren Ende wir nicht absehen können.
Gibt es einen Ausweg aus der Misere?
Beunruhigend ist, dass die Krise schwer zu bekämpfen ist, weil die traditionellen Instrumente der Geld- und Fiskalpolitik weitgehend ausgereizt sind. Wir sind geldpolitisch praktisch am Ende unserer Möglichkeiten. Die Notenbanken haben bereits nach der Bankenkrise 2008 so viel Geld ins System gepumpt, wie man sinnvollerweise hineinpumpen kann, um es flott zu halten. Das hat im Grossen und Ganzen geklappt. Die Fiskalpolitik ist zahnlos, weil die Staaten zu hoch verschuldet sind. Die Keynesianische Idee, in der Krise die Wirtschaft mit Staatsgeldern anzukurbeln, wäre im Moment genau das Richtige. Die meisten Staaten haben dazu aber gar nicht mehr die Mittel. Wenn ein Staat in dieser Situation zusätzliches Geld ausgibt, weiss der Steuerzahler, dass er es ihm auf die eine oder andere Weise gleich wieder abnimmt. Die Schweiz hätte noch gewisse Möglichkeiten, doch auch die Belastbarkeit des schweizerischen Staats-haushaltes wird oft überschätzt.
Uns bleibt demnach nichts anderes übrig, als die Hände in den Schoss zu legen?
In der Vergangenheit war es so, dass die Wirtschaft über erstaunliche Selbstheilungskräfte verfügte. Doch heute ist der Bankensektor in vielen Ländern schwach oder bankrott. Deshalb kann er die Wirtschaft bei ihrer Erholung nicht mehr unterstützen und das Funktionieren der Wirtschaft nicht mehr garantieren. Vor dieser Situation stehen verschiedene Länder. Bevor sich die Wirtschaft erholen kann, müssen sich deshalb die Banken erholen. Das dauert. Zum andern wird die Selbstheilung aufgeschoben, weil die Staaten immer wieder versuchen, Zeit zu kaufen, um Reformen hinauszuschieben. Deshalb kommt der Heilungsprozess nicht voran. Das beste Beispiel dafür ist Griechenland, das jetzt nicht in erster Linie Geld bräuchte, sondern einen Kahlschlag des Dickichts an Regulierungen und korrupten Beziehungen. Solange das nicht stattfindet, kann sich die Wirtschaft nicht regenerieren.
Sie haben die Banken und die Staaten als zwei Ertrinkende bezeichnet, die sich aneinanderklammern und gemeinsam untergehen. Wie kam es dazu?
Historisch betrachtet, sind die Staaten und die Banken schon lange verzahnt. Bereits die feudalen Könige und Fürsten waren in regelmässigen Abständen bankrott und auf die Hilfe von Bankiers wie die Fugger angewiesen. Die Staaten galten als Grossrisiko für die Banken. «Never lend to the prince» war eine alte Bankiersweisheit. Das hat sich um zirka 1900 geändert. Das letzte Beispiel alter Schule, das mir bekannt ist, war 1894. Damals rettete der Bankier J.P. Morgan die USA vor der Zahlungsunfähigkeit. Heute ist es umgekehrt: Die Staaten müssen die Banken retten. Das hat damit zu tun, dass die Staaten grösser geworden sind, ihr Anteil an der Volkswirtschaft ist gestiegen. Und die Banken sind auch grösser geworden. Das heisst, es ist viel gravierender, wenn eine Bank scheitert. So sind die Staaten in Geiselhaft geraten, wie sich in der Finanzkrise gezeigt hat.
Sind die Staaten und die grossen Banken unentrinnbar aneinandergekettet?
Im Moment sieht es so aus. Ich möchte noch kurz aufzeigen, was sich da abspielte. In den Monaten vor der Krise 2008 haben sich die Risikoprämien für die Staaten und die Banken unterschiedlich entwickelt. Die Risikoprämien für die Banken stiegen, weil man wusste, den Banken geht es nicht mehr so gut. Dann kam die Rettungsphase im Oktober und November 2008. Da fielen die Risikoprämien auf den Bankpapieren und stiegen diejenigen auf den Staatspapieren. Das ist wie bei einer Fusion: Die schlechte Firma, das sind die Banken, werden wieder sicherer, weil die gute Firma, der Staat, sie gekauft hat. In den nächsten Monaten schwankten die Risiko-prämien der beiden Akteure im Gleichklang. Die Fusion war vollzogen. Es fand eine wirtschaft-liche Schmelze statt, in der die Staaten und die Banken zusammengewachsen sind.
Das zeigt sich in der Bewältigung der Griechen-landkrise, wo die Kosten für die Sanierung zwischen der EU und den Banken aufgeteilt werden sollen.
Das ist wie bei einem bankrotten Ehepaar, bei dem das Eigentum hin und her überschrieben wird.
Wer kann so gerettet werden?
Eins ist klar: Es geht nicht um die Griechen, sondern um die Banken. Wenn Griechenland nicht mehr bezahlt, geraten griechische und andere europäische Banken in ernsthafte Schwierigkeiten. Die Regierungen wären dann mit einer einheimischen Bankenkrise konfrontiert. Es erscheint günstiger, den Griechen aus der Patsche zu helfen, als zu Hause eine Bankenkrise bewältigen zu müssen.
Welche Folgen hat die von Ihnen beschriebene Fusion der Staaten mit den Banken?
Die Banken sind zum Teil verstaatlicht, die Staaten verbankt, man weiss nicht mehr, wem was gehört. Man könnte nun sagen, das sei die beste aller Welten. Wenn ich als Sparer bei der Bank Geld verliere, hilft mir der Staat. Wenn es dem Staat nicht gut geht, hilft die Bank. Doch der Eindruck täuscht. Das Problem bei dieser Konstellation ist, dass niemand mehr für sein Handeln verantwortlich ist. Deshalb kann es jedem egal sein, was er tut. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch passiert. Man rechnete damit, dass der Staat die Bank rettet.
Da wurden offensichtlich die falschen
Anreize gesetzt?
Absolut. Den Parallelfall haben wir jetzt bei den Staaten: Man kann es dem griechischen Steuerzahler nicht verargen, wenn er die Steuern nicht zahlt und sich sagt: Wenn der Staat pleite ist, hilft uns die EU oder die Europäische Zentralbank.
Ein System kollektiver Verantwortungslosigkeit?
Es handelt sich um individuelle Rationalität, die sich zu kollektiver Verantwortungslosigkeit addiert.
Die Banken konnten grosse Risiken eingehen und ihre Gewinne maximieren, weil sie wussten, dass der Staat im Notfall hilft. Was muss da geändert werden?
Das Problem ist, dass der Staat, ist es einmal so weit, nichts anderes tun kann als zu helfen. Das wissen die Banken und die Märkte und verhalten sich entsprechend. Die Bankiers sind natürlich nicht alles Piraten, die absichtlich hohe Risiken eingehen, weil sie Staatsgarantien haben. Teilweise versuchen sie ganz brav im Namen ihrer Aktionäre Geld zu verdienen. Dafür ist eine Aktiengesellschaft da. Die Aktionäre rufen aber auch an und fordern: In diesem Jahr haben wir 7 Prozent Rendite, wir möchten aber schon lieber 20 oder 25 Prozent. Wenn die Bank keine Staatsgarantien hat, kann der CEO dem Grossaktionär antworten: «Mein Lieber, ich kann schon versuchen, eine Rendite von 25 Prozent zu erreichen, aber dann laufen mir die Gläubiger davon, weil sie wissen, dass die Bank nun riskant wird.» Wenn die Staatsgarantie da ist, hat er dieses Argument nicht. Es geht also nicht nur um die bösen Banker, sondern genauso um die Aktionäre, die ihre Forderungen und Gewinnerwartungen formulieren.
Wird der Euro die Krise überleben?
Der Euro ist eine Fehlkonstruktion genauso wie die EU. Die EU ist strukturell nicht in der Lage, mit Krisensituationen umzugehen. Es gibt zu viele Institutionen und zu viele Interessenkonflikte. Leider hatte die EU die tragische Idee, den Euro einzuführen. Das Wort tragisch ist mit Bedacht gewählt. Das ist wie bei Ödipus, der das ihm prophezeite Schicksal verhindern wollte und es gerade deshalb vollzog. Die EU hat mit dem Euro versucht, sich zusammenzuschweissen. Doch genau das ist jetzt der Zündstoff, der das Ganze zur Explosion bringen könnte.
Wäre es eine Alternative, den Euro als gesamt-europäische Währung aufzugeben? Oder die Eurozone auf einen Kern von Ländern zu reduzieren?
Das wären dann Deutschland, Frankreich, Holland, Österreich, Dänemark und vielleicht sogar die Schweiz. Das ist vorstellbar. Ein solches Kerneuropa, in dem der Euro weiter besteht, wäre das positive Szenario. Die anderen könnten austreten oder ihre Währungen an den Euro koppeln.
Das würde bedeuten, die Geschichte rückwärts zu drehen. Man hat versucht, das geeinte Europa auch in den Euro zu packen. Ist das gescheitert?
Das ist auf jeden Fall gescheitert. Der Euro kann nicht der Grund, sondern nur die Folge der europäischen Integration sein. Man hat versucht, den Euro als Instrument der Integration einzusetzen, anstatt zu sagen: Wenn Europa funktioniert, kommt irgendwann die gemeinsame Währung.