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Chemie in der Praxis

Das ewige Leben der Bilder

Die Daguerreotypie steht am Anfang der Fotogeschichte. Der Fotograf Jos Schmid und der Chemiker Roger Alberto haben die Technik aus Urgrossvaters Zeiten für sich neu entdeckt und weiterentwickelt.  
Roger Nickl

Und klick– Jos Schmid hat schon unzählige Male auf den Auslöser eines Fotoapparats gedrückt. Dieses Mal ist aber alles anders. Der Fotograf hat seine Grossformat-Kamera, die von weitem wie ein Schweizerörgeli auf Stelzen aussieht, auf einer Anhöhe im Oberengadin installiert. Vor ihm türmt sich das imposante Berninamassiv auf, und die Zunge des Morteratschgletschers schlängelt sich in die Tiefe des Tals. Über allem prangt ein hochgebirgsblauer Himmel.

Premiere auf hochalpiner Bühne: Der Fotograf Jos Schmid und der Chemiker Roger Alberto machen im Val Morteratsch ihre erste Daguerreotypie in freier Natur.

Idealbedingungen für eine Premiere: Denn Jos Schmid will hier seine erste Daguerreotypie in der freien Natur machen. Auf diesen Moment haben der Fotograf, und sein Partner, Chemieprofessor Roger Alberto von der Universität Zürich, lange gewartet. Denn in die Kamera ist nicht ein herkömmlicher Film eingespannt und schon gar kein heute üblicher Digitalchip eingesetzt, sondern eine mit Jod und Brom lichtempfindlich gemachte versilberte Kupferplatte.

Bilder, die nicht verblassen

Erfunden wurde die Daguerreotypie zwischen 1835 und 1839 vom französischen Maler Louis Jacques Mandé Daguerre. Die Technik war weit billiger als die üblichen gemalten Porträtminiaturen und bestach schon damals durch eine faszinierende Naturtreue. In den 1850erJahren begann der Stern der Daguerreotypie dann bereits wieder zu sinken. Bis heute geblieben sind die faszinierenden Bilder, die im Gegensatz zu Fotoprints auf Papier kaum altern und verblassen. Bilder für die Ewigkeit sozusagen.

Fotograf und Chemieprofessor im Bund

«Daguerreotypien haben eine unglaubliche Schärfe, und die Schatten sind nicht einfach schwarz, sondern detailreich wie bei einem niederländischen Meister aus dem16. Jahrhundert », schwärmt Jos Schmid, «das kann die Fotografie, wie wir sie kennen, so nicht.» In Roger Alberto fand er einen Verbündeten. Der Fotograf und der Chemieprofessor beschlossen, ihr Wissen zusammenzulegen und in der Freizeit gemeinsam die Geheimnisse der Daguerreotypie zu ergründen. Und so richteten sie im Frühjahr 2009 für die ersten Versuche einen Laborarbeitsplatz am Anorganischchemischen Institut der Universität Zürich ein.

Quecksilberdampf und Goldchlorid

Daguerreotypie verbindet nicht nur Technik und Kunst. Sie ist auch handfeste und zudem ziemlich giftige Chemie. Zuerst wird die versilberte Kupferplatte mit Jod und Brom lichtempfindlich gemacht. Dann wird das Bild in der Kamera belichtet. Dabei wird das entstandene Silberjodid und -bromid an den belichteten Stellen zu metallischem Silber reduziert. Danach wird die belichtete Platte im Quecksilberdampf entwickelt, wobei sich Silber und Quecksilber zu einem äusserst haltbaren Amalgam verbinden. Anschliessend wird das Bild in einem Thiosulfat-Bad fixiert und in einer Goldchlorid-Lösung veredelt.

So kompliziert und aufwändig das Verfahren ist, so vielfältig sind auch die Fehlerquellen, die die Qualität eines Bildes beeinträchtigen können. Auf den ersten Bildern, die Schmid und Alberto vom benachbarten Gebäude des Anorganischchemischen Instituts machten, war jedenfalls noch nicht viel zu sehen. Kopfzerbrechen machte den beiden Daguerreotypie-Forschern etwa die Frage, wie die Metallplatte optimal lichtempfindlich gemacht werden kann. Denn es erwies sich als schwierig, das Jod gleichmässig auf die Platte aufzudampfen. Bis Chemiker Alberto die Lösung für das Problem fand.

Gestochen scharf, unglaublich plastisch

Seither löst Jos Schmid das Jod in leicht flüchtigem Äther auf und giesst diese Lösung über die Metallplatte. Durch Pusten kann das Lösungsmittel anschliessend verdampft werden – zurück bleibt eine regelmässige, hauchdünne Jodschicht. So haben der Fotograf und der Chemiker Schritt für Schritt ihre daguerreotypistischen Kenntnisse verbessert und Probleme aus dem Weg geräumt.

Magische Momente

Bei blossem Tageslicht lassen sich die Bilder kaum erkennen. Auf einem dunklen Hintergrund und im richtigen Winkel betrachtet, entfalten sie aber ihre ganze Magie: Der Morteratschgletscher, der auf der Silberplatte abgebildet ist, ist gestochen scharf und wirkt unglaublich plastisch, fast dreidimensional. Und Daguerreotypien sind kapriziös: Je nach Perspektive des Betrachters verändert sich auch das Bild.

«Ohne die heute verbreitete Digitalfotografie wäre dieses Projekt wohl nie entstanden», mutmasst Jos Schmid. Denn mit der neuen Technik ist für ihn auch ein Stück Sinnlichkeit abhandengekommen. Und es geht immer mehr Wissen darüber verloren, wie ein Bild entsteht.