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Das Szenarium klingt dramatisch. Bis im Jahr 2030, warnte vor ein paar Wochen Travailsuisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden, könnten in der Schweiz bis zu 400’000 Stellen nicht mehr besetzt werden. Es fehle dannzumal nicht bloss an Pflegefachkräften und IT-Spezialisten, sondern auch an Baufachleuten, Lehrpersonen, Lokführern, Polizistinnen. Mit gravierenden Folgen für unsere Lebensqualität.
«Müssen wir im Alter länger arbeiten?», fragte Moderator Markus Zürcher, Generalsekretär der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen, damit lebenszyklusorientierte Strukturen möglich werden? Welche Modelle gibt es in den Unternehmen? Einen Lösungsansatz, antwortete Günter H. Pfeiffer, ehemals Geschäftsleitungsmitglied der Swisscom und Initiant des Demographie Forums Schweiz, gebe es bereits: flexible Arbeitszeitmodelle. Diese, so Pfeiffer, dienten gleich zwei Gruppen: «Den Jungen, die ihre Kinder betreuen und den Älteren, die ihre alten Eltern pflegen.»
Machen denn obere Altersgrenzen überhaupt noch Sinn – heute, wo die Forschung zeigt, dass Menschen ganz unterschiedlich altern? François Höpflinger, Professor am Soziologischen Institut der UZH plädierte denn auch für die Abschaffung aller Altersguillotinen. «In Zukunft», so der Alternsforscher, «getrauen sich immer mehr Menschen, sich zu vernetzen und im Alter eigene Projekte zu realisieren.» Dieses selbstbestimmte Arbeiten setze viel Kreativität frei.
Skeptischer zeigte sich Martin Flügel, Präsident von Travailsuisse. Es gebe weniger privilegierte Arbeitnehmende, für die es durchaus Altersgrenzen brauche. Jeder dritte 63-Jährige stehe aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Erwerbsleben.
«Warum», fragte Flügel unter zustimmendem Murmeln aus dem Publikum, «haben so viele ältere Arbeitnehmende keine Leistungslust mehr?» Auch Heinz Altorfer, Leiter des Bereichs Soziales des Migros Genossenschaftsbundes und Projektleiter der Generationen-Akademie, stellt in Pensionierungsvorbereitungskursen «mit Erschrecken fest, dass für viele Menschen das wahre Leben erst nach 63 beginnt».
Fakt ist, dass bis zum Jahr 2035 jeder vierte Erwerbstätige über 55 Jahre alt sein wird – doppelt so viele wie heute. Die Älteren, sagte François Höpflinger, würden in den nächsten 20 Jahren in Westeuropa immer mehr zum Arbeitskräftereservoir. Einseitig auf die Zuwanderung zu setzen, führt also in eine Sackgasse. Für Gewerkschafter Flügel ist klar: Wenn die Leute länger arbeiten sollen, muss die Arbeit attraktiver und sinnstiftender werden. Die Unternehmen, forderte der Gewerkschafter, müssten verpflichtet werden, Weiterbildungen für alle Beschäftigten anzubieten.
Doch dafür, ergänzte Stefanie Becker, Diplom-Psychologin und Leiterin des Forschungsschwerpunktes «Lebensgestaltung im Alter» der Berner Fachhochschule, müsse man, gerade bei älteren Mitarbeitenden, Motivationsanreize schaffen: «Wertschätzung für gute Arbeit, kontinuierliche Laufbahnplanung auch für Beschäftigte ab 40, 45 Jahren.» Zentral sei auch, dass die Unternehmen die Potenziale ihrer älteren Mitarbeitenden wertschätzen, altersgemischte Teams bilden – zum Beispiel in Bereichen, wo Überblick und Tempo gleichzeitig gefordert sind.
«Aber wie», wollte ein Praktiker aus dem 300köpfigen Publikum wissen, «schaffe ich es ganz konkret, meine Mitarbeitenden bis 65 gesund und motiviert zu erhalten?» Im betrieblichen Gesundheitswesen, antwortete der frühere Swisscom-Mann Pfeiffer, könne man viel erreichen. Die ungleich stärkere Herausforderung sei, Berufsbilder zu entwickeln, die sowohl den Bedürfnissen des älteren Arbeitnehmenden als auch jenen des Unternehmens gerecht werden. «Horizontale Karrieren, neue Rollen für die älteren Arbeitnehmenden», brachte es Gewerkschafter Flügel auf den Punkt. Der Staat werde allerdings nachhelfen müssen, zum Beispiel mit sechs Wochen Ferien für alle.
Kreative Ideen, das zeigte das Podiumsgespräch klar, braucht es auch im Carebereich. Wie, fragte etwa eine Teilnehmerin, gehen wir mit der unbezahlten Pflege zuhause um? Stefanie Becker schlug vor, analog dem Modell «Elternzeit» eine Pflegezeit für alternde Eltern einzuführen. Oder einen Pflegebonus: Wer in jüngeren Jahren andere pflegt, erwirbt einen Pflegebonus, den man im Alter einlösen kann.
Das Alter bleibt ein Zukunftsthema: 2012 ist das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen.