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Das Interesse an den aktuellen Ereignissen in der arabischen Welt ist gross. Nicht nur an Meldungen über den Verlauf der Aufstände, die sich seit der tunesischen Jasmin-Revolution in Aegypten, Libyen, Bahrain, Yemen oder Syrien entfacht haben. Gross ist das Bedürfnis auch nach Einordnung dieser Geschehnisse. Der Hörsaal jedenfalls, in den der UFSP Asien und Europa zur Podiumsdiskussion «Revolution in der arabischen Welt?» geladen hatte, platzte aus allen Nähten.
Weshalb, so eröffnete der Journalist und Maghreb-Kenner Beat Stauffer die Runde, kam und kommt es gerade jetzt zu diesen Revolutionen? Einige Faktoren seien bekannt, erläuterte Reinhard Schulze, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bern. Etwa die Beschleunigung der Information durch Internet und Mobiltelefone. Sie ermöglichte es den Demonstrierenden, sich informell über verschiedene Städte hinweg auszutauschen. Dies trug zur einer gemeinsamen Identitätsstiftung bei; für Schulze eines der entscheidenden Elemente.
Überraschend und anders im Vergleich zu früheren Unruhen sei, dass diesmal nicht einzelne islamistisch geprägte Gruppierungen aus der Unterschicht revoltierten, sondern dass der breite Mittelstand auf die Strasse gegangen sei, so Schulze. In Aegypten sei der Protest zwar von Jugendlichen ausgegangen, erklärte Sarah Farag, Assistentin am Orientalischen Seminar und selber als Demonstrantin auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Dann aber hätten sich breite Schichten dem Protest angeschlossen.
Eindrucksvoll sei der grosse Respekt und das grosse Vertrauen der verschiedenen am Protest beteiligten Gruppierungen gewesen, erzählte Farag. Man habe sich spontan organisiert, einander geholfen mit Zelten, Verpflegung, medizinischer Ausrüstung. «Wir spürten auf dem Platz, es gibt eine Gemeinschaft, die als Einheit etwas erreichen kann.»
Beeindruckt hat Farag auch, wie schnell die Menschen die Angst vor Repression verloren hätten. Der Erfolg der Revolution in Tunesien sei der letzte Faktor gewesen, der den Menschen in Aegypten Mut gemacht habe. Ein anderer Faktor war die Reaktion der Regimes selber. «In Tunesien sind die Menschen dann auf die Strassen gegangen, als die Regierung begonnen hat, auf die Demonstrierenden zu schiessen», berichtete Isabelle Werenfels, Politologin an der Stiftung für Politik in Berlin. Für die tunesische Bevölkerung habe damit das Regime seine Legitimität endgültig verloren.
Die Revolutionen in der arabischen Welt haben nach Schulze die Mehrheit der säkular orientierten Menschen in diesen Länder plötzlich in das Bewusstsein der westlichen Welt gespült. Diese laut Umfragen über 60 Prozent der Bevölkerung seien im Westen bisher nicht wahrgenommen worden. «Jetzt sind sie plötzlich da.»
Für Schulze sind die Revolutionen keine religiös motivierten Aufstände. Im Gegenteil: Die Islamisten hätten Mühe, die Ereignisse zu interpretieren und stünden aussen vor. Ihre Feindbilder – die bisherigen Regimes – seien weggefegt.
Eine Verunsicherung bei den Islamisten sieht auch Werenfels. Auf die Frage, was das spezifisch islamische an ihrer Politik sei, hätten die islamistischen Parteien in Tunesien derzeit keine Antwort.
Im praktischen politischen Prozess, in dem die islamistischen Parteien etwa in Marokko stünden, würden die ideologischen Kanten abgeschliffen, erklärte Bettina Dennerlein, Professorin für Islamwissenschaft und Gender Studies an der Universität Zürich. Dennerlein erklärt sich dies auch mit dem im Westen kaum wahrgenommenen Phänomen der «Angst der Islamisten vor der Angst vor den Islamisten». Die islamistischen Parteien seien sich dessen sehr wohl bewusst und würden ihr Auftreten entsprechend anpassen.
Eine Vereinnahmung der Revolutionen durch Islamisten wurde auf dem Podium kaum befürchtet. Zwar seien in Tunesien die Islamisten vergleichsweise gut organisiert und bekannt, was ihnen bei den kommenden Wahlen Vorteile bescheren könnte, erklärte Werenfels. Dann würden sie aber in den politischen Prozess eingebunden und würden «eine ganz normale Partei, wie andere auch». Als grosse populistische Parteien mit einem Wählerpotenzial von rund 30 Prozent, sieht auch Schulze die islamistischen Parteien.
Dennerlein mahnte zur Vorsicht, die säkular ausgerichteten Parteien automatisch als modern anzusehen. Viele der säkularen Bewegungen seien keineswegs modern in ihrem Gesellschaftsbild. Es sei deshalb nicht von vornherein klar, dass mit den Revolutionen ein gesellschaftlicher Modernisierungsprozess einhergehe. Skeptisch zeigte sich Dennerlein etwa bei den Rechten von Frauen, die in Tunesien auch unter dem autokratischen Regime den Männern nahezu gleich gestellt gewesen seien. Für die Frauenbewegungen gelte es nun, diese Errungenschaften zu bewahren.
Gefahr für den beginnenden politischen und gesellschaftlichen Übergangsprozess sahen die Podiumsteilnehmer eher von den Vertretern der alten Regimes ausgehen – etwa den vielen Angehörigen der Sicherheitskräfte in Aegypten. Sie könnten versuchen mit gezielten Aktionen die neue Ordnung zu destabilisieren. Schulze glaubt jedoch, dass in Aegypten die Armee tatsächlich einen Rollenwechsel vollzogen hat, und sich nun bemüht, Teil einer zivilen Gesellschaft zu werden. Sollte dies gelingen, so ist Werenfels überzeugt, dann würde dies seine Wirkung auch in anderen arabischen Ländern nicht verfehlen.