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Fortpflanzungsmedizin

Wie viel Schutz für beginnendes Leben?

Schwanger mit Achtlingen. Frauen, die mit sechzig Jahren Mutter werden. Was medizinisch möglich ist, ist unter Ärzten, Rechtswissenschaftlern und Ethikern umstritten. An einer Tagung an der Universität Zürich zeigten Experten, welche unterschiedlichen rechtlichen Wege die Schweiz, Deutschland und Österreich gehen, um Fragen der Fortpflanzungsmedizin zu regeln. 
Marita Fuchs

In der Schweiz haben im Jahr 2008 rund 6000 Paare von der Fortpflanzungsmedizin Gebrauch gemacht, das ist eine Zunahme um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In einem Drittel der Fälle ergab sich danach eine Schwangerschaft. Fast ein Viertel der Frauen, die eine Behandlung in Anspruch nahmen, haben ihren Wohnsitz im Ausland.

Das liegt auch an den unterschiedlichen rechtlichen Regelungen in der Schweiz und benachbarten Ländern. Denn was medizinisch machbar ist, ist aus der Sicht der Ethik und des Rechts höchst umstritten und wird in jedem Land anders gehandhabt.

Kind im Ultraschallbild: Die moderne Fortpflanzungsmedizin kann der Natur auf die Sprünge helfen.

Unterschiede bestehen zum Beispiel bei der Frage, wie Ärzte und Eltern über Einpflanzen oder Entsorgen von Embryonen entscheiden, wenn diese im Reagenzglas (in-vitro) entstanden sind und genetische Mängel aufweisen. Wenn in diesen Fällen die genetische Untersuchung der Embryonen bei der künstlichen Befruchtung vor der Übertragung in die Gebärmutter der Frau stattfindet, spricht man von Präimplantationsdiagnostik (PID).

Zumutbarkeit für das Paar

Medizinisch haben Paare, bei denen ein hohes Risiko für ein Kind mit einer genetischen Krankheit besteht, heute die Möglichkeit, die durch In-vitro-Fertilisation erzeugten Embryonen auf bestimmte Chromosomenanomalien und Genmutationen hin untersuchen zu lassen. Dies mit dem Ziel, jene Embryonen zu identifizieren, bei denen die Disposition für eine befürchtete genetische Krankheit mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.

In der Schweiz liegt ein Entwurf für eine Änderung des Fortpflanzungsmedizin-Gesetzes vor, der künftig die PID unter engen Vorgaben erlaubt. Nach der PID soll das Nichteinpflanzen des Embryonen erlaubt sein, wenn zum Beispiel eine Disposition für eine schwere Krankheit des Embryos vorliegt, die wahrscheinlich vor dem fünfzigsten Lebensjahr ausbrechen würde, für die es keine Therapie gibt und die dem Paar nicht zumutbar ist, führte Professor Kurt Seelmann von der Universität Basel aus.

Der Bundesrat habe den Gesetzesentwurf nicht allein auf die objektive Gefahr einer schweren Krankheit abgestellt, sondern die Zumutbarkeit für das Paar in den Vordergrund gestellt.

Umstrittene Dreier-Regelung

In der öffentlichen Debatte wurde in der Schweiz der Vorwurf laut, die Zulassung zur PID gehe nicht weit genug. Der Grund dafür ist die so genannte Dreier-Regelung: Es dürfen nur so viele imprägnierte Eizellen zu Embryos entwickelt werden, wie in den Uterus verpflanzt werden können, maximal jedoch drei. Die Chancen für das betroffene Paar seien damit sehr gering, innerhalb eines Behandlungszyklus einen gesunden Embryo zu bekommen, kritisierten zum Beispiel die Akademien der Wissenschaften in der Schweiz.

In Österreich ist die PID verboten. Gegen ihre Zulassung spreche, dass sie den in Österreich gesetzlich verankerten Embryonenschutz verletzen würde, führte Professor Erwin Bernat von der Universität Graz aus.

«Wer ist ab wann niemand?»

Professor Jochen Taupitz von der Universität Mannheim ging auf der Tagung mit dem deutschen Recht hart ins Gericht. Im deutschen Grundgesetz stehe: <Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden>. «Gilt das auch für Föten?», fragte Taupitz. «Und wenn ja, wer ist ab wann niemand?»

Die Verfassungsväter hätten diese Frage bewusst offen gelassen. Zur Zeit vor der Nidation – der Einnistung des Eis im Mutterleib – gebe es auch kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Lebensschutz gelte erst ab der Nidation. Das bedeute, dass am Anfang der Entwicklung eines Menschen nur ein geringer Schutz bestehe und der Schutz im Laufe einer Schwangerschaft grösser werde.

Taupitz wies auf Widersprüche im Embryonenschutzgesetz hin: Geht man davon aus, dass in Deutschland die PID verboten ist, müsse eine Frau sich erst die in vitro hergestellten Embryonen  implantieren lassen. Stelle sich dann eine Krankheit heraus, könne sie den Embryo abtreiben lassen. «Merkwürdige Regelung», meinte Taupitz.

Diese Rechtslage kann sich jedoch bald ändern – darauf hatte Professorin Brigitte Tag in ihrer Einführung hingewiesen. Denn der Bundesgerichtshof werde im Juli 2010 über die strafrechtliche Zulässigkeit der PID in Deutschland entscheiden.

Taupitz plädierte dafür, mittels PID die in vitro gezeugten Embryonen zu untersuchen und dann nur den gesunden «Top-Embryo» in die Gebärmutter zu übertragen. «Die Qualitätsauswahl der Embryonen würde dazu beitragen, dass man der Frau nur einen Embryo übertragen müsste», sagte Taupitz. Damit könnten Mehrlingsschwangerschaften vermieden werden.

Auf der Suche nach den verlorenen Kindern

Der Chirurg Felix Unger, Präsident der Europäischen Akademie der Wissenschaft und Künste führte medizinische und weltanschauliche Argumente gegen ein extensives Anwachsen der künstlichen Befruchtung und der Schwangerschaftsabbrüche an.

Zwar gibt es in Österreich keine offizielle Statistik. Professor Kurt Schmoller aus Salzburg führte in seinem Referat zum Spätabbruch in Österreich jedoch an, dass man von einem Verhältnis von einem Schwangerschaftsabbruch auf zwei Geburten ausgehe.

Dabei zeigten psychiatrische Studien, dass die Frauen durch die Abbrüche zum Teil psychisch stark belastet würden und sich – bildlich gesprochen – auf die Suche nach ihren verlorenen Kindern machten. Als Mediziner warnte Unger vor dem Wahn des Machbaren.