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Die Anti-Minarett-Initiative ist noch nicht verdaut, und schon steht mit der Ausschaffungsinitiative der SVP die nächste Vorlage bereit, welche dieselben Fragen aufwerfen wird: Verletzt die Initiative Völkerrecht? Falls ja, soll sie für ungültig erklärt werden? Was passiert, falls sie vom Volk angenommen wird?
Grund genug für ein Podiumsgespräch, das die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Punkt brachte. Dieser Anspruch erfüllte sich am Donnerstag in der Aula der Universität Zürich voll und ganz. Kein Wunder, bei folgender Zusammensetzung des Podiums: SP-Nationalrat und Europarat-Delegierter Andreas Gross, Völkerrechts-Professorin Christine Kaufmann (UZH), alt Bundesrichter Guisep Nay, SVP-Nationalrat Lukas Reimann (Student Rechtswissenschaft UZH), SVP-Kantonsrätin Barbara Steinemann und CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer.
Es stehe am Wochenende keine Abstimmung bevor, man könne also durchaus aufeinander eingehen, mahnte Moderator Christoph Wehrli, NZZ-Inlandredaktor. Die Fronten verliefen trotzdem nach dem bekannten Muster.
Auf der einen Seite die Vertreter der SVP mit dem Credo, Volk und Landesrecht den Vorrang einzuräumen. Auf der anderen Seite die übrigen Podiumsteilnehmer, die den Vorrang des Völkerrechts grundsätzlich anerkannten und Landes- und Völkerrecht einander nicht gegenüberstellen wollten.
«Völkerrecht ist Schweizer Recht», meinte Nay mit Blick darauf, dass auch Völkerrecht rechtsstaatlich legitimiert ist. Die beiden Rechtsarten verfolgten denselben Zweck, sagte Kaufmann, nämlich die Freiheit des Individuums zu schützen.
Die SVP werde fälschlicherweise oft als Feindin des Völkerrechts dargestellt, wehrte sich Reimann. Man wolle aber nur dessen Missbrauch bekämpfen. Solcher finde statt, wenn das Völkerrecht benutzt werde, um politische Ziele zu erreichen, die sich im Inland nicht realisieren liessen. Steinemann warf der Linken vor, die Menschenrechte ständig ausweiten zu wollen, etwa auf ein Recht auf Arbeit oder Wohnung.
Die SVP strebe deshalb an, den Vorrang des Landesrechts in der Bundesverfassung zu verankern, so Reimann. Ein Postulat der SVP, das einen Wechsel vom Monismus zum Dualismus anstrebe, sei diese Woche im Nationalrat angenommen worden. Während beim Monisums das Völkerrecht automatisch ins Landesrecht übernommen wird, braucht es dazu beim Dualismus einen separaten Gesetzgebungsprozess.
Schmid-Federer erklärte, sie habe gegen das Postulat gestimmt, zumal in den nächsten Tagen der Bundesrat einen Bericht vorlegen werde, der sich zum Verhältnis von Schweizer Recht zu Völkerrecht äussern werde.
Nay bezweifelte, dass sich mit dem Wechsel zum Dualismus am Vorrang des Völkerrechts etwas ändern werde: «Es wird einfach eine grössere Gesetzesmaschinerie in Gang gesetzt.» In der Bundesverfassung sei der Vorrang des Völkerrechts zwar nicht explizit festgehalten, sagte Nay. Die Bundesverfassung sehe in Artikel 5 lediglich vor, Bund und Kanton hätten das Völkerrecht zu beachten.
Umstrittene «Schubert-Praxis»
Der Gesetzgeber habe die Kompetenz, dies zu beurteilen, der Justiz überlassen wollen. Das Bundesgericht hat gemäss Nay in seinen Urteilen aber klar festgehalten, dass das Völkerrecht Vorrang hat, wenn es um völkerrechtlich garantierte Menschenrechte geht. Somit sei die «Schubert-Praxis» nicht mehr lebbar, die es dem Parlament früher erlaubte, vom Grundsatz des Vorrangs des Völkerrechts abzuweichen, wenn das Parlament dies wissentlich und willentlich tue.
Die SVP ist gleich mehrfach aktiv geworden, was diese Fragen anbelangt. Sie will die «Schubert-Praxis» in der Verfassung verankern und mit einem anderen Vorstoss in der Verfassung abschliessend definieren, was als zwingendes Völkerrecht zu gelten hat: Verbot von Angriffskrieg, Folter, Völkermord und Sklaverei.
Im Herbst 2009 hat die Partei zudem eine Volksinitiative eingereicht, welche die Volksrechte beim Abschluss von Staatsverträgen erweitern will: «Zu viele Verträge werden ohne Volksentscheid abgeschlossen», so Reimann.
Einig waren sich die Podiumsteilnehmenden, dass es bedauerlich sei, dass die Minarett-Initiative überhaupt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg vorgelegt werde – die Diskussion darüber hätte in der Schweiz stattfinden sollen. Er hätte die Anti-Minarett-Initiative schon vorgängig für ungültig erklärt, sagte Gross, und Steinemann stimmte insofern zu, als sie sagte: «Man kann die Spielregeln nicht während des Spiels ändern.»
Auseinander gingen die Meinungen darüber, wer über die Gültigkeit einer Initiative entscheiden soll. Das Parlament sei der richtige Ort dafür, so die SVP-Vertreter. Das Parlament sollte nicht die Aufgabe der Justiz übernehmen, warnte alt Bundesrichter Nay. Als politisch gangbaren Weg ortete Schmid-Federer für die Zukunft, völkerrechtswidrige Initiativen bereits vor der Unterschriftensammlung für ungültig zu erklären.
Was die SVP tun werde, falls der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Anti-Minarett-Initiative als widerrechtlich einstufe, wollte Moderator Wehrli wissen. Der Gerichtshof könne es sich nicht leisten, einen derart breit abgestützten Volksentscheid umzustossen, gaben sich Reimann und Steinemann siegessicher. Falls doch, müsse man die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention ins Auge fassen.
Auch Nay rechnet nicht damit, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Klagen gegen die Anti-Minarett-Initiative akzeptieren wird, allerdings aus anderen Gründen.
Der Gerichtshof könne erst angerufen werden, wenn der nationale Instanzenweg beschritten worden sei. Dies wäre erst der Fall, wenn das Bundesgericht ein konkretes Baugesuch für ein Minarett ablehnen würde, so Nay. Gemäss Kaufmann ist allerdings klar, dass der Gerichtshof die Initiative inhaltlich für ungültig erklären würde, da das ausschliessliche Verbot von Minaretten eine religiöse Diskriminierung darstelle.
Man solle dem Volk mehr zutrauen und es nicht vor sich selber schützen, forderten die SVP-Vertreter. Die Demokratie sei in der Schweiz stärker verankert als die Idee der Menschenrechte, stelle demgegenüber Gross fest. «Die Demokratie ist mehr als die Tyrannei der Mehrheit», sagte er mit Blick auf den Schutz vor Minderheiten.
Er ortete allerdings dringenden Handlungsbedarf, was die Klärung des Verhältnisses von Demokratie und Menschenrechten anbelangt. «Unsere Demokratie ist in einem schlechten Zustand, wenn angenommene Volksinitiativen nicht umgesetzt werden können», so Nay.
Handlungsbedarf ortete auch Schmid-Federer, die mit der Ausschaffungsinitiative eine Grenze verletzt sieht: «Wenn Menschen wegen Diebstahls in Länder abgeschoben werden sollen, in denen ihnen Folter droht, bewegen wir uns nicht mehr im juristischen Graubereich des Völkerrechts, sondern im Schwarzbereich.»