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«Oh, das ist aber ein schönes Thema!», bekomme ich als Doktorandin am Forschungsprojekt «Vertrauen verstehen» regelmäßig zu hören, wenn ich von unserem Forschungsgegenstand berichte. Diese spontane Reaktion macht deutlich: Vertrauen wird im Allgemeinen durchgängig positiv konnotiert. Wir erfahren Vertrauen als eine wichtige Komponente in persönlichen Beziehungen und sind fasziniert von jenem ‹Grundvertrauen›, das zu haben jeder begehrt. Gängig ist auch die Meinung, dass die wirtschaftlichen und politischen Krisen der letzten Jahre durch mangelndes Vertrauen verursacht worden seien.
Schwer fassbarer Gegenstand
Vertrauen steht heute also hoch im Kurs. Das war aber nicht immer so, man denke nur an das Lenin zugeschriebene Diktum: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser». Für die interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft ist das Phänomen trotzdem nicht einfach zu fassen. Denn eines der markantesten Eigenschaften von Vertrauen sei, dass es «keine eindeutige Expressivität» besitze, sagte Martin Hartmann, Professor für Philosophie an der Universität Luzern.
An der Tagung im Collegium Helveticum stellte sich letzte Woche eine hochkarätige Expertenrunde aus dem In- und Ausland den spezifischen Methodenproblemen der Vertrauensforschung: Wie können wir diesen Gegenstand methodisch fassen, der sich uns phänomenal entzieht? Und: Gelingt uns dies in der Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen besser?
Ehre und Bürde
Die psychoanalytisch ausgerichtete Psychologin Brigitte Boothe aus Zürich und Matthias Franz, Professor für Neurologie in Düsseldorf, brachten das in den 1960er Jahren durch Erik Erikson eingebrachte Konzept des Grundvertrauens in die Diskussion. Franz zeichnete die für das ‹Grundvertrauen› notwendigen Phasen eines gesund entwickelten Säuglings von der Mutterbrust an nach. Boothe hob dagegen die Ambivalenz der elterlichen Vertrauensgabe hervor. Diese impliziere nämlich immer auch «egozentrische Erwartungen». So sei Vertrauen «eine Ehre – aber auch eine Bürde».
An diesem Punkt hakte Arne Grøn ein. Der Professor für Religionsphilosophie aus Kopenhagen gab zu bedenken, dass die Aussage «Urvertrauen sei eine elterliche Gabe» eine Verfügbarkeit impliziere, die der prekär bleibenden «Errungenschaft» des Vertrauens gar nicht entspreche. Darüber hinaus sprengte Grøn die Diskussion über das Konzept des ‚Grundvertrauens’ auf, indem er das Problem neu formulierte: «Was bedeutet es eigentlich, dass Vertrauen grundlegend ist?»
Ansichtssache
Die interdisziplinäre Vertrauensforschung hat
nicht einfach einen
Gegenstand vor Augen, den sie anhand verschiedener
Methoden bearbeitet. Dies wurde während der drei Hauptpodien und
acht
verschiedenen Workshops zunehmend deutlicher.
In einem
theologischen Intermezzo
zwischen Claudia Welz aus Kopenhagen und Cornelia Richter aus
Marburg etwa
stritten Theologinnen um das Verständnis des Gottvertrauens im
christlichen
Glauben. Aus ganz anderer Perspektive näherte sich die
Freiburger
Neuropsychologin Bernadette von Dawans dem Vertrauen. In Ihrem
Workshop
gewährte sie Einblick in die Erforschung der psychobiologischen
Grundlagen von
Vertrauen anhand von experimentellen Verhaltensspielen.
Eine Währung für alle Disziplinen?
Im Laufe der Tagung wurde offensichtlich, dass sich jede Disziplin für sehr spezifische Vertrauensformen interessiert und diese in eigene Problemzusammenhänge und Horizonte verortet.
Enttäuscht werden musste die Erwartung, einzelne disziplinäre Herangehensweisen oder Ergebnisse einfach addieren zu können, um damit zur maximalen Vertrauenseinsicht zu kommen. Dennoch betonte Martin Endress, Professor für Soziologie aus Trier, in der Schlussrunde, sollte die gemeinsame Suche nach einer einheitlichen ‹Leitwährung› für die interdisziplinäre Vertrauensforschung nicht vorschnell aufgegeben werden.
Einige der beteiligten Forschenden standen diesem engagierten Votum skeptisch gegenüber. Professor Dalferth etwa verwies explizit auf die Notwendigkeit einer «topischen», also örtlichen, Forschung am Vertrauen. Dennoch brachten die durchdachten Forschungsanlagen, die differenzierten Reflexionen und die präsentierten Ergebnisse viele hilfreiche Anregungen und schärften den disziplineigenen Blick. Insofern rückte auch das ganze Forschungsprojekt einen Schritt näher zum Ziel, «Vertrauen (in seiner Vielgestaltigkeit) zu verstehen».