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Frau Trkola, Viren sind durch ihre Anpassungsfähigkeit unberechenbar. Der Mensch wird durch sie immer wieder bedroht, und zwar weltweit. Wann rechnen Sie mit einer nächsten Attacke?
Die nächsten Attacken bereiten sich wahrscheinlich gerade jetzt vor. Ohne dass wir es bemerken, entwickeln sich neue Viruserkrankungen oder neue Mutanten von bekannten Viren, die zum Beispiel vom Tier auf den Menschen übertragbar werden.
Viren versuchen, sich an ihren Wirt anzupassen – je besser das gelingt, desto gravierender verläuft die Krankheit. Manchmal kann eine Epidemie oder sogar Pandemie ausbrechen. Oft verläuft eine Viruserkrankung jedoch auch ganz unspektakulär und wird gar nicht als solche erkannt.
Ein Influenza-Virus zum Beispiel verändert sich gern und oft, und es sucht sich häufig neue Wirte. Warum sind Viren so wandelbar?
Viren gibt es in allen lebenden Organismen, und ihre genetische Wandlungsfähigkeit ist ihre Überlebensstrategie. Da sie einfacher gebaut sind als menschliche Zellen, verfügen Viren über weniger Mechanismen, die ihre Vermehrung kontrollieren. Bei der Verdoppelung der viralen Erbsubstanz passieren deshalb häufig Lesefehler.
Dies wiederum führt zu einer grossen Vielfalt und Variabilität. Es entstehen sogenannte «quasi-species», Schwärme von Virus-Mutanten, von denen einige wenige vorteilhaft für die Verbreitung des Virus sein können. Zum Beispiel dann, wenn mit Hilfe der neuen Mutation die natürliche Abwehr des Wirtes ausgeschaltet wird oder das Virus eine Resistenz gegen Medikamente erwirbt.
Wovon hängt es ab, wie ansteckend ein Virus ist?
Es gibt verschiedene Gründe. Es gibt zum Beispiel Viren, deren Gene die Immunabwehr des Wirtes quasi ausschalten können. Dadurch kann sich der Virus dann blitzschnell im Menschen und auch von Mensch zu Mensch verbreiten. Doch darin liegt auch eine Gefahr: Sind die Viren so aggressiv, dass der Wirt vor der Übertragung des Virus auf andere stirbt, stirbt auch der Virus – ein Selbstläufer. Deshalb können sich Viren, die nicht so massive Krankheiten auslösen, am besten verbreiten.
Das Symposium, das Sie an der Universität Zürich organisieren, befasst sich mit der Pathogenese und der Kontrolle menschlicher Viren. Woran wird im Moment am intensivsten geforscht?
Für Infektionsforscher bleibt viel Arbeit – nicht nur bei der Aids-Bekämpfung. Etwa ein Fünftel aller Krebsfälle, und womöglich weit mehr, werden letztlich durch eine Infektion verursacht: Vor allem Leberkarzinome werden häufig durch Hepatitis-B- oder -C-Erreger ausgelöst. Gerade Hepatitis C ist ein Massenleiden, weltweit leben nach Schätzungen 170 Millionen Menschen mit dem Virus. Und noch immer gibt es keine Impfung. Seit wenigen Jahren gibt es jedoch eine Impfung gegen humane Papilloma-Viren, die Gebärmutterhalskrebs verursachen.
Bei der HIV-Infektion hält zwar ein Pillencocktail die Vermehrung der HI-Viren in Schach, drängt sie sogar zurück, kann den Erreger aber nie ganz aus dem Körper vertreiben.
Auf unserem Symposium treffen sich Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Richtungen und Schwerpunkte. Da viele an derselben Fragestellung arbeiten, ist es gut, wenn wir uns intensiv austauschen. Konkret geht es zum Beispiel um Strukturforschung, sprich: den komplexen Aufbau des Virusmoleküls und um die Möglichkeit, wandernde Viruspartikel zu blockieren und damit die Wirksamkeit des Virus auszuschalten. Oder wir besprechen systembiologische und klinische Ansätze, die herausfinden wollen, wie genau die Übertragbarkeit vonstattengeht.
Welche Schwerpunkte der Virusforschung bearbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Zürich?
An unserem neuen Institut für medizinische Virologie betreiben wir Grundlagenforschung und virologische Diagnostik. Ein zusätzlicher Aufgabenbereich, den wir in unserer Diagnostik im Auftrag des Kantons und des Bundesamtes für Gesundheit in Zukunft ausüben, ist der Nachweis hochpathogener Viren in einem neuen Hochsicherheitslabor.
In der Grundlagenforschung haben wir im Moment drei Arbeitsgruppen: Die zwei Forschungsgruppen von Prof. Lars Hangartner und PD Dr. Jovan Pavlovic , die Influenza-Viren genau unter die Lupe nehmen; und ich betreue die Gruppe, die sich mit dem HI-Virus befasst.
Sie sind Aids-Spezialistin. 33 Millionen Menschen sind weltweit mit dem Aids-Virus infiziert. In Berlin wurde jetzt ein Mensch von Aids geheilt. Der Patient war viele Jahre lang HIV-positiv. Dann erkrankte er ausserdem an Krebs. Und wie es heute aussieht, war sein doppeltes Unglück gerade der Grund dafür, dass er jetzt mehr oder weniger gesund ist. Welche Lehre kann die Forschung aus dieser Geschichte ziehen?
Das ist eine spannende Geschichte. Der Patient benötigte eine Knochenmarktransplantation. Da dabei zuvor die körpereigenen Zellen, in denen das HI- Virus replizieren kann, eliminiert werden, sah man eine Chance: Man hat dem Mann Knochenmark eines Spenders mit einem Gendefekt im CCR5-Gen transplantiert.
CCR5 ist ein Rezeptor, den die meisten HI-Viren benötigen, um eine Zelle zu infizieren. Das war auch bei den Viren dieses Patienten der Fall, und das Virus konnte in den transplantierten Zellen nicht mehr wachsen. Solche Transplantationen kann man natürlich nicht routinemässig anwenden, um HIV zu behandeln.
Die Transplantation selbst ist äusserst komplex und mit hohen Risiken verbunden. Zudem gibt es nur wenige geeignete Spender, die den CCR5-Gen-Defekt haben, nur gerade 1 bis 3 Prozent in Europa.
Die Medien haben aus Schweine- und Vogelgrippe einen Hype gemacht. Zurück blieb der Eindruck, dass die Bedrohung übertrieben wurde. Wo liegt der Grat zwischen Panikmache und Aufklärung?
Vielleicht hätten die Medien im letzten Jahr bei der Schweinegrippebedrohung etwas eher Entwarnung geben können. Es ist natürlich immer ein Balanceakt: Zum einen will man die Menschen davon überzeugen, sich impfen zu lassen, und zum anderen möchte man keine Panik provozieren.
Für mich war es eine gute Übung für den Ernstfall; zum Beispiel bei der Impfstoffverteilung kann man meiner Ansicht nach in Zukunft einiges verbessern. Kantone und Bund müssen da effektiver zusammenarbeiten.
Letztlich bin ich jedoch auch dankbar, dass wir ein gutes Gesundheitssystem haben und uns auch gefährlichen Viren gegenüber gerüstet sehen.