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Das Leben in Gruppen wie zum Beispiel Herden oder Scharen kann Tieren grosse Vorteile bringen, etwa den Schutz vor Feinden oder bessere Zugänglichkeit zu Futter. Trotzdem leben viele Tiere als Einzelgänger, etwa die Katzen oder die meisten Insektenfresser. Doch was sind die Vorteile eines Lebens als Einzelgänger? Bisher war es schwierig, dies zu untersuchen, doch eine kleine Maus weist einen Weg.
Die Striemengrasmaus (Rhabdomys pumilio) kann nämlich beides: Mal lebt sie in Gruppen, mal alleine. Der Zoologe Carsten Schradin konnte nachweisen, dass die Maus damit zum einen auf klimatische Veränderungen und zum anderen auf sexuelle Konkurrenz reagiert. Mit dieser Strategie überlebt sie die widrigsten Umstände.
Bereits seit zehn Jahren beobachtet der Zoologe Carsten Schradin von der Universität Zürich in einer Langzeitstudie den wandlungsfähigen Nager und dokumentiert sein Sozialverhalten, sowohl zwischen als auch innerhalb von Populationen; denn die Mäuse werden in der Regel nicht viel älter als ein Jahr. «Erst nach mehreren Generationen erkennt man die ganze soziale Bandbreite, zu der die Striemengrasmäuse fähig sind», erläutert Schradin.
Er konnte bereits zeigen, dass die Männchen der Striemengrasmaus mit ihrem väterlich-fürsorglichen Verhalten überraschen. Nun veröffentlichte der Verhaltensforscher seine neuesten Forschungsergebnisse im «Journal of Animal Ecology».
Klima und Konkurrenz
Im Namaqualand im Westen Südafrikas beobachten Schradin und sein Team die tagaktiven Striemengrasmäuse in ihrer natürlichen Umgebung unter verhaltensbiologischen Gesichtspunkten. Direkte Verhaltensbeobachtungen an Mäusen im Freiland waren bis anhin mit keiner anderen Art möglich.
Schradin stellte fest, dass die Mäuse in der Regel in Gruppen leben und die Vorteile der Gruppe schätzen, so kuscheln sie sich in den kalten Nächten eng aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen und Energie zu sparen. Gruppen können aus bis zu dreissig erwachsenen Mäusen bestehen. Diese teilen sich ein Nest und das Territorium, ziehen gemeinsam die Jungen auf und interagieren in der Regel sehr fürsorglich miteinander.
Doch während der Fortpflanzung und der Aufzucht der Jungen kommt es auch zu Konkurrenz unter den Weibchen, die sogar so weit gehen kann, dass ein Weibchen die Jungen eines anderen Weibchens tötet. Sobald die Konkurrenz um Fortpflanzung und der damit verbundene Stress in der Gruppe zu gross werden, entscheiden sich Weibchen für das Leben als Einzelgängerin, wenn die Populationsdichte gering ist. Die Männchen folgen dann dem weiblichen Vorbild und werden ebenfalls Einzelgänger.
Evolutionär wirksames Rezept
Klimatische Bedingungen können ebenfalls die Mäuse dazu bringen, als Single ihr Glück zu suchen. Nimmt die Nahrungsfülle ab, sei es durch Kälte oder Dürre, verringert sich die Anzahl der Tiere insgesamt, und das Sozialverhalten der Überlebenden passt sich den veränderten Umständen an. Ausserhalb der Fortpflanzungssaison leben die Mäuse immer noch in Gruppen und profitieren von einem verringerten Energieverbrauch im warmen Gemeinschaftsnest. Sobald die Fortpflanzungssaison beginnt, nutzen die Weibchen aber den Platz: Sie verlassen die Gruppe und werden zu Einzelgängern, um der Konkurrenz mit anderen Weibchen in der Gruppe zu entgehen.
In einem Trockenjahr bei lang anhaltender Dürre starben etwa 99 Prozent der Mäuse. In der folgenden Fortpflanzungssaison wurden alle überlebenden Mäuse, die vorher in grossen Familiengruppen gelebt hatten, Einzelgänger.
Überleben in grosser Trockenheit
Die Männchen folgten den Weibchen und wurden ebenfalls solitär, wobei jedes Männchen nach und nach mehrere solitäre Weibchen zur Paarung besuchte. Ein evolutionär wirksames Rezept, um sich schnell fortzupflanzen, wodurch auch die Population wieder schnell zunahm.
Interessant ist, dass die Mäuse in den Jahren vor der grossen Dürre im Familienverbund leben mussten, weil die Populationsdichte zu gross war. Ein Leben als Einzelgänger wäre unter solchen Umständen schwieriger, da zum Beispiel geeignete Nestplätze schon besetzt wären.
Die Striemengrasmäuse überraschen mit ihrem Verhalten, denn sie reagieren flexibler als andere Säugetiere auf unwirtliche Bedingungen oder soziale Gegebenheiten. Durch welche physiologischen Ursachen, wie Hormon- und Stoffwechseländerungen, das Sozialverhalten angestossen wird, wird Schradin demnächst in seinem Labor an der Universität Zürich analysieren. Er hat ein grosses Depot an Blutproben nach Hause mitgebracht, die nun genauer untersucht werden sollen.