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Kochbücher aus dem Mittelalter sind rar. Nur ganz wenige Rezeptsammlungen sind erhalten geblieben, und keines dieser Bücher weist Fettflecken auf. Die repräsentativen Sammlerstücke waren für die Bibliothek und nicht für die Küche bestimmt. «Wenn die Rezepte gebraucht worden wären, hätte man sie nicht mehr», sagte Professorin Elvira Glaser an ihrer Vorlesung über mittelalterliche Kochanweisungen im Rahmen der Reihe «Essen & Trinken im Mittelalter».
Die Linguistin am Deutschen Seminar der UZH analysierte Form und Sprache der ältesten erhaltenen Rezepte des deutschsprachigen Raums. Sie zitierte vor allem aus dem ältesten erhaltenen deutschen Kochbuch: «das buoch von guter Spise». Es diente im 14. Jahrhundert einem Michael de Leone aus Würzburg als Hausbuch und enthält mehr als hundert Rezepte. Weitere wichtige Quellen sind das «Kochbuch» von Maister Hannsen, eines Kochs in Wirtemberg, datiert um 1460. Und die «Küchenmeisterei», welche 1490 von Peter Wagner in Nürnberg nach einer älteren Vorlage nachgedruckt wurde.
Redundanz für Kundige
Die überlieferten Rezepte richten sich an Könner der Kochkunst. So
fehlen Mengenangaben oder Kochzeiten weitgehend und viele Anweisungen setzen
Grundkenntnisse voraus. In Befehlen wie «mache ein teyg» oder «nim ir als viel ir
bedarfst» werden ganze Handlungsketten der Küchenpraxis verschwiegen.
Die Form und Struktur der Rezepte aus dem Mittelalter ist noch nicht jene von
heutigen Rezepttexten. Oft besteht die rote Überschrift aus einem allgemeinen
«ein guot spîse» oder schlicht «ein geriht». Unter dem gleichen Titel «Gemüs»
finden sich gar diverse ganz andersartige Rezepte.
Eigentümlich floskelhaft sind die Schlüsse vieler Rezepte. «Diese Formeln haben keine informative Relevanz, sondern sind ritualisierte Schlussmarkierungen, eigentliche Textgrenzsignale», sagte Glaser. So findet man am Ende der Rezepte häufig die simple Aufforderung «gibz hin», oder eine Salzwarnung «und versaltz ez niht», ohne spezifischen Bezug zum zubereiteten Gericht.
Wie man einen Stein weich kocht
Für den kulinarisch interessierten Leser von heute sind die Rezepte aus
dem Mittelalter oft frustrierend ungenau. Wohl sind Imperative wie «schütt,
rüre, snit und backez» nachzuvollziehen. An ein Nachkochen ist dennoch nicht zu
denken, wenn es am Schluss eines Rezept nur heisst «daz is gar guot». Als
Vorgänger des heutigen Variantentipps heisst es oft nur «oder waz du wilt».
Für die Sprachwissenschaft dagegen geben die Rezeptsammlungen
interessante Aufschlüsse über die Entwicklung der Textform «Kochrezept», die
Geschichte des Wortschatzes und über die mittelalterliche Kultur. Techniken wie
Färben oder die Herstellung von Essig werden gleich neben Gerichten wie
Mandelkuchen und Erbsenmus beschrieben.
Neben dem reichhaltigen Vorrat für die Mediävistik enthalten die Kochbücher aus dem Mittelalter auch einige Kuriositäten. So tauchen immer wieder Scherzrezepte auf, etwa wie man einen Stein weich koche bei «Meister Hans». In jeder Sammlung ist zudem ein Igelrezept enthalten. Das heisst aber nicht, dass man im Mittelalter die stachligen Tiere ass. Es handelt sich um Schaurezepte, wo man unterschiedlichste Speisen in Form eines Igels zubereitete. Ein anderes Rezept beschreibt etwa auch, wie Fische zerlegt und wieder zu einem Fisch geformt aufgetischt werden sollen.