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Frau Professor Tag, wird uns das neue Kompetenzzentrum Antworten auf schwierige Lebensfragen geben?
Ja, das wollen wir. Durch die rasche Entwicklung in der Zell- und Molekularbiologie stellen sich der Gesellschaft völlig neue Aufgaben. In-vitro-Fertilisation, Klonen, aber auch Spätabbrüche bergen Probleme, die gerade vom Recht eine abgewogene Lösung einfordern. Wir werden schwierige Themen interdisziplinär angehen.
Ein Beispiel aus dem klinischen Bereich ist der Einsatz von Placebos. Der Arzt steht vor dem Dilemma: Darf er den Patienten täuschen und ihm – wenn auch zu seinem Besten – ein Placebo geben? Oder ist er moralisch verpflichtet, den Patienten aufzuklären? Dann muss er aber damit rechnen, dass der Placebo-Effekt nicht eintritt. Eine weitere Frage betrifft die Forschung: Darf man bei doppelblinden Studien Placebos einsetzen? Im April organisieren wir eine Tagung zu Placebos in der Medizin.
Weitere Themen betreffen den Tod und tote Körper. Die moderne Medizin ist ein Segen; sie hat jedoch Schattenseiten: Niemand möchte hilflos an Schläuchen und Sonden hängen, versorgt mit Kathetern und Windeln. Selten gibt es eine schriftliche Erklärung, die darüber Aufschluss gibt, was der Schwerkranke genau wollte. Die Diskussion um Lebensverlängerung und Sterbehilfe ist schwierig, aber nötig.
Das neue Zentrum bündelt Fachwissen verschiedener Disziplinen. Ist es auch Ansprechpartner für die breite Öffentlichkeit?
Ja, das ist unser Wunsch, wir wollen eine Wissensplattform bieten. Bei Vernehmlassungen zum Beispiel kann die Öffentlichkeit sich in Zukunft an unser Expertenteam wenden und Expertisen einholen. Wir stehen auch zur Verfügung, wenn eine fundierte Meinung zu Sterbehilfe, der Transplantationsmedizin oder zum zulässigen Umgang mit einer Leiche gefragt ist.
Wie setzen sich die Experten zusammen?
Das neue Kompetenzzentrum besteht aus Dozierenden der Universität Zürich, alle Fakultäten sind eingeladen. Auf Dauer werden wir auch mit unseren in- und ausländischen Kollegen einen regen Austausch pflegen, vor allem, wenn wir an ähnlichen Problemen arbeiten.
Wir werden zusammenarbeiten. Weil aber die Ethik ein sehr weites Feld ist, wollen wir mit dem neuen Zentrum die Fragen auf angewandte Ethik im medizinischen und rechtlichen Bereich fokussieren. Wir konzentrieren uns auf spezielle Sachgebiete und Fragen.
Wird das Kompetenzzentrum auch in der Lehre aktiv sein?
Ja, das ist sogar ein grosser Schwerpunkt. Schon vor Gründung des Zentrums, im Herbstsemester 2009, haben wir das Doktoratsprogramm «Biomedical Ethics and Law» ins Leben gerufen. Es ist das erste strukturierte Doktoratsprogramm der Schweiz, in dem Juristen und Mediziner sich mit rechtlichen, medizinischen und ethischen Fragen auseinandersetzen. Weitere Angebote wird es zum Beispiel in der Rechtsmedizin geben.
Wie finanziert sich das Zentrum?
Die Universität finanziert zwei Jahre lang eine 50-Prozent-Stelle. Wir müssen jetzt rasch und effektiv Drittmittel einwerben. Zum Glück haben wir von der Georg und Bertha Schwyzer-Winkier-Stiftung ein Unterstützungsangebot erhalten, damit wir mit dem Betrieb beginnen können.