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Nina zu Fürstenberg, Journalistin und Gründerin der integrationsfördernden Stiftung «Reset – Dialogues on Civilizations» in Rom, eröffnet das Podium mit einer Bestandsaufnahme zur Lage des Islams in Europa und der Schweiz. Die Präsenz der muslimischen Religion und Kultur sei heute in den westlichen Gesellschaften unübersehbar. Muslimische Einwohner rückten durch persönliche Glaubenssymbole und religiöse Rituale die Religion in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Die Sichtbarkeit des Islams im gesellschaftlichen Leben, das zeigen zahlreiche Untersuchungen, führt in der Bevölkerung zu Verunsicherungen: Viele islamische Symbole, etwa die Verhüllung der Frau durch Kopftuch und Burka, werden auf der Strasse als fremdartig und verstörend wahrgenommen, als Anachronismus, der im Widerspruch zu westlichen Werten der Geschlechtergleichheit und der säkularen Gesellschaftsordnung steht. Zunehmend werden Forderungen nach Gesetzesentscheiden laut. «Die europäischen Staaten», betont zu Fürstenberg, «müssen sich den Herausforderungen, die eine Integration verschiedener Religionen mit sich bringt, endlich stellen.» Doch wie führt man eine sachliche Diskussion, die von Symbolik und Emotionalität geprägt ist?
Jedenfalls nicht wie in der Schweiz oder in Frankreich, meint Nilüfer Göle, Professorin an der Pariser École Des Hautes Études En Sciences Sociales. Die türkische Gelehrte, die ihre roten Locken gern offen trägt, ist für klare Äusserungen bekannt. Wegen ihrer wissenschaftlichen Thesen zum Islam ist sie sogar von Istanbul ins Pariser Exil gegangen. Von einem generellen Kopftuchverbot an Schulen, wie es in ihrer neuen Heimat 2004 verhängt wurde, hält Nilüfer Göle allerdings nichts. Ein Mehrheitskonsens, getragen von Vertretern nationaler, säkularer und westlicher Werte gegenüber Neuankömmlingen und Minoritäten, vereine das Potential in sich, demokratische Politik und öffentliches Leben für alle Teilhabenden zu zerstören.
Dass eine Demokratie sich mit demokratischen Mitteln selbst abschaffen kann, glaubt Giuliano Amato, ehemaliger Ministerpräsident Italiens, nicht. Dennoch fragt er sich, ob es demokratisch sei, Minderheitenrechte mit einem mehrheitlichen Mittel wie dem Schweizer Minarett-Referendum festzulegen. Die beiden Hauptargumente, die im Kontext dieser Volksabstimmung angeführt wurden, lehnt Amato kategorisch ab. Wenn wir fordern, dass die Glaubensrechte der Muslime bei uns nur dann vollständig anerkannt werden, wenn auch die der Christen in muslimischen Ländern anerkannt werden, dann machen wir die Einhaltung unserer eigenen Grundsätze vom Prinzip der Gegenseitigkeit abhängig – und stellen unsere Demokratie selbst in Frage. Auch das Argument, der Islam sei eine aggressive Religion und lehre Gewalt, sei keine legitime Rechtfertigung für eine Einschränkung der Glaubensfreiheit. «Es ist ein Fehler, den Islam mit seinen fanatischen und fundamentalistischen Auswüchsen gleich zu setzen.»
Dem kann Katajun Amirpur, Assistenzprofessorin für Moderne Islamische Welt an der Universität Zürich, nur zustimmen. Die Aussagen der deutschen Politiker Angela Merkel («Multikulti ist gescheitert») und Horst Seehofer («Araber sind nicht integrierbar») empören die Wissenschaftlerin sichtlich: «Wenn man denjenigen, die integriert werden sollen, wahllos Dinge unterstellt, darf man sich nicht über Trotzreaktionen wundern.» Die Politik in Deutschland betreibe, sagt Amirpur, eine Muslimisierung der Muslime, schüre durch ewige Integrationsdebatten irreale Ängste. Statt Stigmatisierung durch öffentliche Diskussion schlägt die Professorin als Lösungsansatz massive Investitionen in die Bildung vor. «Denn das Muslim-Problem in Deutschland ist in erster Linie ein Bildungsproblem.»
Übereinstimmend mit Katajun Amirpur ist auch die Präsidentin des Schweizer Frauenverbands «Alliance F», Rosemarie Zapfl, der Überzeugung, dass die ständige Thematisierung eines Problems die Gemüter nur unnötig erhitze: «Bis zur aktuellen Debatte war die Zürcher Mahmud-Moschee, die immerhin 1963 eröffnet wurde, in meiner Erinnerung nie ein Stein des Anstosses.» Wie die SVP aber in den letzten Jahren mit ihrer ausländerfeindlichen Politik die Stimmung aufgeheizt habe, sei nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch zutiefst unschweizerisch.
Einen neuen Gedanken bringt Professor Reinhard Schulze vom Institut für Islamwissenschaft in Bern in die Diskussionsrunde ein. Für ihn ist die aufgeregte Debatte um den Islam in Europa ein deutliches Zeichen für eine «entgleisende Säkularisierung». Das Schweizer Minarettverbot deutet Schulze als «Kulturkampf zwischen Vertretern einer säkularen und einer post-säkularen Ordnung.» Was bedeutet das? Nichts anderes, «als dass sich momentan in vielen westlichen Staaten die klare Trennung von Staat und Religion auflöst und die Regierungen in religiösen und weltanschaulichen Belangen ihre Neutralität verlieren.» Die laizistische Idee hinter unseren europäischen Verfassungen werde damit untergraben. Und nicht nur das: Ein Staat, der als religionspolitischer Akteur handelt, gefährdet unsere Wahlfreiheit und stört die Friedensordnung unserer Gesellschaft.
Wie Probleme zwischen Muslimen und Europäern ohne restriktive Gesetzsprechung zu lösen sind – darauf hat man am Ende der zweistündigen Veranstaltung keine endgültige Antwort gefunden: Zu komplex das Thema, zu wenig Zeit, die unterschiedlichen Positionen und Vorschläge miteinander zu verbinden. Einigen konnten sich Diskutanten und Zuhörer aber darauf, dass neue Wege beschritten werden müssen um die Mehrheit aufzuklären. «Vielleicht», sagt Nilüfer Göle, «ist Humor der Schlüssel des Problems.» Am Wettbewerb für das schönste Minarett-Foto in Europa hätten jedenfalls sehr viele Menschen teilgenommen.