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Toleranz und Religion

Ein Weltgewissen für bessere Verständigung

Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann sprach in Zürich über Toleranz und Religion. Assmann verglich dabei Kulturkonflikte von heute mit Bürgerkriegen aus dem Alten Testament. Als Ausweg aus der Intoleranz sieht er die Entwicklung eines sakulären Weltgewissens, welches über allen Religionen steht. UZH News verlost ein Exemplar von Assmanns neuem Buch «Religio duplex».
Claudio Zemp

Assmann stellte zunächst in unserer Gesellschaft eine doppelte Intoleranz fest: Die vorherrschende Leitkultur dulde die Zeichen der Einwanderer wie etwa Minarette oder Verschleierung nicht. Aber auch die Einwanderer ihrerseits seien intolerant, weil sie sich durch den Zwang zur Assimilation in ihrer Identität bedroht fühlten. Assmann suchte in seinem öffentlichen Vortrag im Rahmen einer Tagung zur religiösen Toleranz nach besseren Umgangsformen für verschiedene Kulturen: «Angst und Bedrohung sind schlechte Wege zu Toleranz und Verständigung.»

Jan Assmann sucht nach Lösungen für Kulturkonflikte: «Angst und Bedrohung sind schlechte Wege zu Toleranz und Verständigung.»

Intoleranz der heiligen Krieger

Zur Illustration seiner These blendete Assmann ins Alte Testament  zurück. In den Texten der Makkabäer-Bücher fand er, dass die gleichen zwei Intoleranzen wie heute schon im 2. Jahrhundert vor Christus vorhanden waren. Damals standen die Freiheitskämpfer um Judas Makkabäus im Konflikt mit Antiochos dem Vierten, dem König der hellenistischen Leitkultur. Obwohl es durchaus auch Juden gab, die sich mit Antiochos arrangierten, duldeten beide Lager keine Parallelkultur.

In den Makkabäer-Bücher finden sich drastische Berichte blutiger Säuberungsaktionen, deren Ziel die Ausrottung aller angepassten Juden war. Die krassen Texte sollten eine einigende Wirkung auf die Leser haben, so Assmann: «Zielpunkt der Schriften ist nicht das Fremde an sich, sondern das Fremde im eigenen Land.» Deshalb wurde mit vom eigenen Glauben abgefallenen Brüdern viel härter verfahren als mit Feinden in konventionellen Kriegen. Überleben durfte nur die eigene reine Wahrheit. Assmann verglich die Makkabäer mit ihrer Idee der Reinheit mit den heiligen Kriegern von heute.

Erlösende Aufklärung

Stets habe es aber in der Geschichte auch kompromissbereite Strömungen der Religionen gegeben. Anstelle des religiösen Eifers, der andere Anschauungen ausschliesse, plädierte Assmann dieses pragmatische «Prinzip der doppelten Mitgliedschaft». Dieses Sowohl-als-auch-Prinzip ermögliche, religiös zu sein und trotzdem tolerant gegenüber Andersgläubigen.

Spuren dieser doppelten Mitgliedschaft fand Assmann beim Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, der in seiner Freimaurerschrift «Ernst und Falk» Kosmopoliten gefordert hatte, welche durch ihre Weisheit die materiellen, politischen und religiösen Klüfte der Gesellschaft überwinden würden.

Aufklärung ist aktuell: Der Ägyptologe Jan Assmann präsentierte in Zürich sein neues Buch «Religio duplex».

«Lessings Toleranzidee war die geistige Lösung für ein zerrissenes Jahrhundert», sagte Assmannn: «Es geht nicht um Duldung, sondern um Anerkennung der Differenz.»

Innere Wahrheit über allem

Die Idee einer übergeordneten Weltreligion sei aber nicht nur in der europäischen Aufklärung zu finden. So unterschied der indische Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi zwischen den Religionen und einer gross geschriebenen einzigen Religion, welche für alle gelte. Diese setzte Gandhi mit Wahrheit gleich. Neben den verschiedenen Glaubensschriften existiere eine allgemeine Moral und Ethik, ein gemeinsamer Nenner aller Religionen. Diese innere Wahrheit jedoch sei niemals institutionalisiert.

Von Gandhis Wahrheit schlug Assmann die Brücke ins Zeitalter der Globalisierung. Dank der weltumspannenden Kommunikation sieht er einen humanitären Konsens kommen, der frei von religiöser Mystik ist. So wachse etwa die Solidarität mit den Verlierern der Globalisierung, wie die weltweiten Proteste gegen die Steinigung von Sakineh Ashtiani in Iran zeige. Solche Schicksale gingen allen nah, egal welcher Nationalität die Frau sei, sagte Assmann. Längst würden wir nicht mehr national denken, sondern auf zwei Ebenen.

Assmann hält die gemeinsame Grundwahrheit für stärker als die Wahrheiten der Religionen. So wie religiöse Menschenopfer heute undenkbar seien, sei es nur eine Frage der Zeit, bis andere Diskriminierungen oder Menschenrechtsverletzungen im Namen der Religion weltweit geächtet würden: «Wer gegen transkulturelle Grundwerte verstösst, hat keinen Anspruch auf Respekt und Toleranz.»

Assmann plädiert für eine säkulare Weltethik: «Wer gegen transkulturelle Grundwerte verstösst, hat keinen Anspruch auf Respekt und Toleranz.»

Ethik ohne Glauben

Das universale ethische Bewusstseins sei ein Ideal. Aber man solle diese Entwicklung durch Training fördern, forderte Assmann zum Schluss seines Vortrags: «Es war nie so nötig wie heute, Formen der gegenseitigen Verständigung zu finden.» Die Diskussion mit dem Publikum zeigte, dass der Kulturwissenschaftler in seinem sanften Ton die versammelten Theologen mit einigen Ideen durchaus provoziert hatte.

Angesprochen auf seinen Bezug zum Projekt «Weltethos» des Schweizer Theologen Hans Küng, sagte Assmann, im Unterschied zu Küng verspreche er sich nicht sehr viel von den Religionen selbst und vom interreligiösen Dialog. Die Quellen für seine Weltweisheit seien philosophischer Art: «Wenn es jemals einen Weltethos gibt, dann ist er säkular.»

Der Kulturwissenschaftler versicherte aber, dass ein universaler Boden der weltweiten Zivilisiertheit und Menschlichkeit keineswegs die Aufgabe der eigenen Religion bedeute. Es gehe um Ethik und nicht um sakrale Kulte. Auch Lessings «Kosmopolit» sei in Traditionen verwurzelt, dieser er nicht aufgeben mochte. Das Wissen um verschiedene Wahrheiten und der Respekt für andere Religionen gefährde den eigenen Glauben nicht, so Assmann: «Religion verliert nichts von seiner Verbindlichkeit und Heiligkeit, wenn man weiss, dass man es auch anders machen kann.»