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Abstimmung: Forschung am Menschen

Ein «Ja» für mehr Rechtssicherheit

Im Bundesamt für Justiz war Bernhard Rütsche für das Dossier «Humanforschungsrecht» zuständig. Heute ist er Rechtsprofessor an der Universität Zürich und plädiert für ein «Ja» zum Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen. Umstritten ist unter anderem die Forschung an urteilsunfähigen Personen.
Adrian Ritter

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Stimmt der Souverän am 7. März zu, wird ein neuer Artikel 118b in die Bundesverfassung aufgenommen. Er gibt dem Bund die Kompetenz, Vorschriften zur Forschung am Menschen zu erlassen, sofern Schutz von Würde und Persönlichkeit es erfordern. Gleichzeitig stellt der neue Verfassungsartikel Grundsätze auf für die Forschung in Biologie und Medizin (vgl. Kasten unten).

Im Oktober 2009 überwies der Bundesrat bereits den Entwurf für das entsprechende Humanforschungsgesetz (HFG) ans Parlament. Wird der Verfassungsartikel angenommen, dürfte das Gesetz nach der Beratung im Parlament 2012 in Kraft treten.

Bernhard Rütsche: «Die Grundsätze des neuen Verfassungsartikels sind seit Jahrzehnten international anerkannt.»

Bernhard Rütsche begleitete von 2004 bis 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Justiz das Dossier «Humanforschungsrecht». Seit Juli 2009 forscht er als Förderungsprofessor des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Zürich zum Thema «Prinzipien des Biomedizinrechts: Grundlagen für eine Konsensfindung auf internationaler Ebene».

UZH News: Bernhard Rütsche, was spricht für ein «Ja» zum neuen Verfassungsartikel?

Bernhard Rütsche: Der neue Artikel führt zu einer schweizweiten Vereinheitlichung der Bedingungen, unter denen Forschung am Menschen stattfinden darf. Dies bedeutet mehr Rechtssicherheit und Transparenz für den Forschungsstandort Schweiz.

Bisher erliess – wenn überhaupt – jeder Kanton eigene Regeln zur Humanforschung. Das erschwert die Zusammenarbeit von Hochschulen und anderen Forschungsinstitutionen über die Kantonsgrenzen hinweg. Der administrative Aufwand bei der Gesuchseinreichung wird in Zukunft geringer, wenn ein Forschungsprojekt mehrere Hochschulen umfasst.

Wird die Forschung am Menschen durch die inhaltlichen Bestimmungen des neuen Verfassungsartikels erleichtert oder erschwert?

Inhaltlich ändert sich nicht viel. Es wird ein einheitliches Schutzniveau für die beteiligten Personen etabliert. Wo ein Kanton bisher keine Regelung hatte, hat er jetzt gewisse Einschränkungen. Der Verfassungsartikel orientiert sich an international anerkannten Richtlinien, insbesondere an der Biomedizin-Konvention des Europarates, die auch für die Schweiz rechtlich verbindlich ist.

Was ändert sich im Kanton Zürich?

Was die inhaltlichen Anforderungen an Forschungsprojekte betrifft, wird es höchstens geringfügige Änderungen geben. Der Kanton Zürich gehört zu jenen Kantonen, die bereits eine Regelung kennen – und zwar im Patientinnen- und Patientengesetz. Jegliche medizinische Forschung an menschlichen Lebewesen bedarf demgemäss einer Bewilligung durch die kantonale Ethikkommission.

Die Überprüfung von Forschungsprojekten obliegt auch im neuen Humanforschungsrecht den kantonalen Ethikkommissionen?

Ja, wobei sich in institutioneller Hinsicht voraussichtlich Änderungen ergeben werden. Der neue Verfassungsartikel verlangt, dass Ethikkommissionen unabhängig sind. Die Unabhängigkeit ist im geltenden Zürcher Recht nicht vollumfänglich gewährleistet. So müssen nicht alle Mitglieder der Ethikkommission von der forschenden Institution unabhängig sein.

Zudem erlaubt das kantonale Recht die Bildung von spitaleigenen Unterkommissionen. Es kann also vorkommen, dass Mediziner über die Anträge ihrer Kolleginnen und Kollegen am selben Spital bestimmen. Ferner wird nicht vorgeschrieben, dass die Mitglieder der Ethikkommission ihre Interessenbindungen offenlegen.

In diesen Punkten bringt der Entwurf des Humanforschungsgesetzes Verschärfungen mit sich – auf der Grundlage des Verfassungsartikels, der die «unabhängige Überprüfung des Forschungsvorhabens» verlangt.

Der neue Verfassungsartikel spricht im ersten Absatz über Forschung allgemein, im zweiten Absatz nur über Forschung in Biologie und Medizin. Warum diese Einschränkung?

Das ist meines Erachtens ein Mangel und auf politischen Widerstand aus den Geistes- und Sozialwissenschaften zurückzuführen. Dort befürchteten einige Wissenschaftler, dass ihre Forschung eingeschränkt wird, etwa indem ein Kriminologe in Zukunft einen Straftäter um Erlaubnis bitten muss, um mit seinen Daten zu forschen. Das trifft aber nicht zu, denn die Grundsätze im zweiten Absatz des Verfassungsartikels sind ohnehin auf Forschung mit Personen beschränkt und somit auf reine Datenforschung nicht anwendbar.

Wie hätte der Verfassungsgeber für Klarheit sorgen können?

Die Einschränkung auf Biologie und Medizin im zweiten Absatz des Artikels hätte weggelassen werden sollen. Auch das Humanforschungsgesetz sollte so formuliert werden, dass es alle Forschungsprojekte erfasst, welche die Menschenwürde und Persönlichkeit gefährden können.

In welchem Wissenschaftszweig geforscht wird, darf keine Rolle spielen. Auch bei einer psychologischen oder soziologischen Forschung ist eine Verletzung der Würde oder Persönlichkeit denkbar, wenn etwa jemand psychischem Druck oder Stress ausgesetzt wird.

Gestützt auf den neuen Verfassungsartikel haben es National- und Ständerat in der Hand, auch Forschungsprojekte ausserhalb der Medizin der Bewilligungspflicht zu unterstellen – soweit effektiv eine Gefahr für Würde und Persönlichkeit besteht.

Der Verfassungsartikel wird auch kritisiert. Die SVP bemängelt, er regle Details, die nicht in die Verfassung, sondern in ein leichter zu änderndes Gesetz gehörten. Was sagen Sie dazu?

Es ist in der Tat heikel, inhaltliche Grundsätze in die Verfassung aufzunehmen. Das lehrt uns nicht zuletzt Artikel 119, in den konkrete Verbote in der Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie eingebaut wurden. Technische Neuerungen und der Wertewandel haben dazu geführt, dass dort heute grosser Änderungsbedarf besteht.

Dieselbe Befürchtung ist aber beim neuen Verfassungsartikel über Forschung am Menschen nicht angebracht. Dessen Grundsätze sind seit Jahrzehnten international anerkannt. Ausserdem sind sie offener formuliert und lassen dem Gesetzgeber mehr Spielraum.

Die Grünen haben Stimmfreigabe beschlossen und kritisieren, dass Forschung an urteilsunfähigen Menschen nicht grundsätzlich ausschlossen ist.

Der Verfassungsartikel lässt Forschung mit urteilsunfähigen Menschen, also etwa Kindern, Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Dementen, in der Tat unter gewissen restriktiven Voraussetzungen zu. Umstritten ist die so genannte fremdnützige Forschung mit urteilsunfähigen Personen, also Forschung, die den Betroffenen selber keinen direkten Nutzen bringt. In gewissen Kantonen war diese bisher verboten, insofern wird die Lösung auf Bundesebene eine Öffnung bringen.

Warum ist Forschung an Urteilsunfähigen nötig?

Man weiss beispielsweise, dass es zu wenig Medikamente gibt, die spezifisch für Kinder entwickelt wurden. Dies, obwohl bekannt ist, dass Medikamente bei Kindern anders wirken als bei Erwachsenen. Medikamente an Kindern zu testen kann somit sinnvoll sein – im Sinne des Eigennutzens. Im Sinne der Fremdnützigkeit kann es auch nötig sein, Medikamente für krebskranke Kinder an gesunden Kindern zu testen.

Der Verfassungsartikel erlaubt solche Forschung allerdings nur, wenn sie mit minimalen Risiken und Belastungen verbunden ist. Selbstverständlich wird zudem vorausgesetzt, dass die gesetzlichen Vertreter zustimmen und die Kinder die Teilnahme am Forschungsprojekt nicht erkennbar ablehnen. Zudem wird ein Forschungsprojekt nur zugelassen, wenn gleichwertige Erkenntnisse nicht mit urteilsfähigen Personen gewonnen werden können.

Ich finde es legitim, Forschung ohne Nutzen für die eigene Person in diesem Rahmen zu erlauben. Es handelt sich um eine Form minimaler Solidarität, ohne die die Gesellschaft nicht funktioniert und die auch bei Urteilsunfähigen vorausgesetzt werden kann.