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UZH News: Michael Latzer, Sie leiten am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung die Abteilung Medienwandel & Innovation und organisieren die öffentliche Veranstaltungsreihe «Digitale Destabilisierung: Medienwandel durch Konvergenz?». Worum geht es?
Michael Latzer: Vom aktuellen Medienwandel sind viele Stakeholder betroffen: Journalisten, Medienhäuser, die Telekomindustrie, Radio und Fernsehen, die Kommunikationspolitik und auch die Kommunikationswissenschaft. In dieser Veranstaltungsreihe stellen nationale und internationale Experten aus Politik, Wissenschaft und Industrie ihre Analysen des Medienwandels zur Diskussion.
Die traditionellen Grenzen zwischen Telekommunikation, Rundfunk und Print verschwimmen auf technischer und betrieblicher Ebene. Dieses Phänomen bezeichnen wir als Konvergenz. Sie ist eine zentrale Triebkraft des Wandels. Internet und Mobilkommunikation sind Musterbeispiele dafür.
Auf der politischen Ebene führt die Konvergenz beispielsweise zu Rechtsunsicherheiten. Welche Regeln gelten für einen Skype-Dienst oder das Web-TV? Dieselben Auflagen wie für traditionelle Telefonie und Fernsehen? Wie steht es mit den Radiogebühren? Müssen auch Mobiltelefonbenutzer Fernsehgebühren bezahlen?
Was interessiert den Medienwissenschaftler an diesen Entwicklungen?
Uns interessieren die Triebkräfte, der Verlauf und die Folgen des Wandels. Mit einer ko-evolutionären Perspektive analysieren wir die Zusammenhänge von Technik, Ökonomie und Politik.
Es geht um die Zusammenhänge von technischen Veränderungen wie der Digitalisierung von Telefonie und Rundfunk mit ökonomischen Veränderungen wie der Innovationstätigkeit und Marktkonzentration sowie mit politisch-regulatorischen Veränderungen wie der Liberalisierung des Kommunikationsmarktes.
Das kann für Teilbereiche durchaus so gesehen werden. Die Digitalisierung, also der Umstieg von Analog- auf Digitaltechnik, hat durch damit verbundene Kostenreduktionen vorerst die Grundlage für die Liberalisierung, für die Öffnung des Telefoniemarktes, für den Wettbewerb und damit für den Aufbau von mehreren Netzen und Diensten ermöglicht. Etliche neue Player sind so entstanden, aber der nachfolgend einsetzende Wettbewerb hat auch die Profitmöglichkeiten der Einzelnen reduziert.
Nun zeigt sich nicht nur in der Schweiz ein Trend zur Re-Konzentration. Dazu trägt ein anderer, ebenfalls als Konvergenz bezeichneter Trend bei, nämlich die Verschmelzung von Festnetz- und Mobilkommunikation.
Die Konvergenz schafft sowohl für die Verlagshäuser als auch für Journalisten gänzlich neue Rahmenbedingungen. Die Arbeitsweisen und Arbeitsmittel der Journalisten verändern sich. Suchmaschinen treten teils an die Stelle persönlicher Gespräche, Nachrichten-Aggregatoren stellen automatisiert News zu gewünschten Themenbereichen zusammen.
Ein Medienwandel wie dieser hat immer Gewinner und Verlierer. Wie bei einem ko-evolutionären Prozess üblich, werden jene von diesem Wandel am meisten profitieren, die sich am besten an die neue Situation anpassen. Dabei geht es nicht nur um neue Produkte, sondern auch um neue Geschäftsmodelle.
Wie sieht ein zukunfträchtiges Geschäftsmodell aus?
Es gibt nicht nur einen richtigen Weg. Anstatt eines Massenmarktes könnte sich eine Masse an Nischenmärkten etablieren. Integrierte Newsroom-Konzepte, mittels derer auf verschiedenen Plattformen (Internet, Radio, Fernsehen, Print) eng zusammengearbeitet wird, bilden einen wesentlichen Baustein dafür.
Am stärksten leiden momentan die gedruckten und bezahlten Tageszeitungen, weil sie sowohl aufgrund der Geschwindigkeit und Tiefe des Internets als auch wegen der neuen Internet-Werbeformen unter Druck geraten.
Dafür kann nicht nur der Medienwandel verantwortlich gemacht werden. Die Kombination des Strukturwandels mit einer Wirtschaftkrise führt dazu, dass das Potenzial der Digitalisierung zu Kostenreduktionen genutzt wird. Die möglichen Folgen sind dann tatsächlich, dass es weniger in die Tiefe geht, die Qualität leidet und es zu einer Boulevardisierung und zu Mehrfachverwertungen kommt.
Traditionen zu wahren, heisst aber nicht, auf Innovation zu verzichten. Im Gegenteil: Es braucht Innovationen, um auch weiterhin guten Journalismus zu machen. Alte Geschäftsmodelle zu schützen, ist der falsche Weg.
Prinzipiell ist es kein Problem, dass – so lange die Qualität stimmt – gute Artikel mehrfach publiziert werden. Dies sollte jedoch global und überregional und nicht auf Kosten von Journalistenstellen und der regionalen Medienvielfalt passieren.
Genau das ist aber passiert. Allein im Raum Zürich verloren in den letzten zwei Jahren weit über hundert Medienschaffende den Job.
Das Rationalisierungspotenzial der Digitalisierung kann unterschiedlich genutzt werden, auch zur Qualitätsverbesserung. Aufgrund der Kombination des Strukturwandels mit sinkenden Werbeeinnahmen werden offensichtlich vor allem Kosteneinsparungen angestrebt. Doch das könnte sich auch mittelfristig rächen.
Guter Journalismus kostet. Doch die Leserinnen und Leser sind immer weniger bereit, dafür zu bezahlen.
Das Problem ist, dass Qualität im Journalismus nicht leicht sichtbar ist. Mediengüter sind grossteils Vertrauensgüter. Deshalb ist die Reputation des Absenders besonders wichtig für die Zahlungsbereitschaft. Die NZZ etwa hat sich ihren guten Ruf über Jahrzehnte erarbeitet. Es geht also nicht nur um Produkte und Geschäftsmodelle, sondern auch um Marken.
Es wandern immer mehr Werbebudgets ins Netz. Google ist auch hier zu einem grossen Player geworden. Ein Erfolgsrezept von Google lautet: Der Inserent bezahlt nur, wenn sein Inserat angeklickt wird. Die Effektivität steht im Mittelpunkt. Gerade in Krisenzeiten ein schlagendes Argument.
Die Frage, welche Ranking-Algorithmen hinter den Suchresultaten stehen, ist tatsächlich sehr interessant. Niemand weiss, wie die Suche genau funktioniert. Das ist zwar unbefriedigend, macht aber auch Sinn. Ansonsten würde jeder Anbieter seine Site so programmieren, dass sie optimal in die Ranking-Kriterien von Google passt und an erster Stelle stehen würde.
Internet-Werbung und Aggregatoren, die Nachrichten aus dem Netz sammeln und neu zusammenstellen, sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie seien Parasiten. Doch das ist eine einseitige Sicht.
Die andere Seite der Medaille ist: Google bringt Traffic und Aufmerksamkeit. Ein Erfolgsrezept, das man laut dem amerikanischen Medienexperten Jeff Jarvis von Google lernen kann, heisst ‚Do what you can do best and link to the rest’.
Da ko-evolutionäre Prozesse nur schwer vorhersehbar und von einzelnen kaum steuerbar sind, sollten Medienunternehmen experimentieren, sich nicht von neuen Internet-Anbietern abgrenzen, sondern Kooperationen und ihre Nischen suchen. Das gleiche gilt für Journalisten.