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Neuroinformatik

Die Ergotherapie von morgen findet am Computer statt

Nach Hirnverletzungen müssen Patienten Bewegungen neu einüben. Neuerdings helfen ihnen dabei Computergames. Ein Team um den Computerwissenschaftler Kynan Eng entwickelt am Institut für Neuroinformatik die Ergotherapie von morgen.
Adrian Ritter
Gesteigerte Motivation: Rehabilitation mit Hilfe des Computergames iCTuS.

Von den ersten Apple-Heimcomputern bis zur virtuellen Realität – der Computerwissenschaftler Kynan Eng (35) hat die Entwicklung der Informatik und der Computergames hautnah mitverfolgt. Der gebürtige Australier griff während der Highschool und seinen ersten Studienjahren an der Monash University in Melbourne selber oft zur Konsole und war spielbegeistert.

Langeweile verhindern

Die dabei gesammelte Erfahrung ist ihm in seiner jetzigen Funktion als Gruppenleiter am Institut für Neuroinformatik von Universität und ETH Zürich hilfreich. Im Rahmen des Forschungsschwerpunktes (NCCR) «Neural Plasticity and Repair» entstand 2005 die Idee, Computergames für die Rehabilitation von hirnverletzten Menschen nutzbar zu machen.

«Warum sollte die Ergotherapie in 50 Jahren noch gleich aussehen wie heute?», so Eng. Die konventionelle Therapie werde mit der Zeit langweilig – wenn Patienten hundert Mal nach demselben Holzklotz greifen und ihn hochheben sollen.

Gesteigerte Motivation

Das Team um Kynan Eng entwickelte mit dem iCTuS («Interactive Computer-based Therapy-System») ein neues Instrument für die Ergotherapie der Zukunft. Dabei greifen die Patienten nicht nach realen Holzklötzen, sondern in einem Computergame nach Gegenständen, die auf einem Bildschirm vor ihnen auf sie zurollen, oder nach Karotten, die aus dem Boden wachsen.

Sie tragen dazu verkabelte Handschuhe, mit denen sie die virtuellen Arme auf dem Bildschirm bewegen können. Die Handschuhe wurden speziell für Patienten mit Bewegungseinschränkungen entwickelt. Das Spiel dient dazu, das Greifen und Drehen des Unterarms zu trainieren.

Damit die Games auch wirklich Spass machen und professionell daherkommen, sind an der Entwicklung nicht nur Ingenieure, Neurowissenschaftlerinnen und Ärzte beteiligt, sondern seit 2009 auch «Game Designer» der Zürcher Hochschule der Künste.

Verkabelte Handschuhe: Die Spieler steuern damit das Geschehen auf dem Bildschirm und trainieren ihre Beweglichkeit.

Übung macht den Meister

Getestet wurde iCTuS bisher an 15 Patientinnen und Patienten am Universitätsspital und Kinderspital Zürich sowie an der Rehabilitationsklinik Rheinfelden – Schlaganfallpatienten etwa oder Kinder, die unter Cerebralparese leiden oder bei einem Unfall eine Hirnverletzung erlitten.

«Wir konnten zeigen, dass die Technik ausgereift ist und die Teilnehmer motivierter sind als bei herkömmlichen Formen der Rehabilitation», so Eng. Ob auch der klinische Nutzen grösser ist, untersuchen derzeit laufende Studien.

Bereits die Steigerung der Motivation ist für den Heilungsprozess wichtig. Übung macht den Meister, lautet das Prinzip der Rehabilitation. Ein Test am Kinderspital zeigte, dass die Patienten während einer konventionellen Therapiesitzung rund hundert Mal nach einem Objekt greifen, mit dem iCTuS aber in derselben Zeit rund dreihundert Mal. «Sie bemerken dabei nicht einmal, dass sie viel härter trainieren», schmunzelt Eng.

Dass Computerspiele in der Rehabilitation eingesetzt werden, ist nicht neu. Kynan Eng weiss von mehreren Kliniken, in denen Patienten mit dem «Wii» von Nintendo ihre Beweglichkeit trainieren, indem sie durch ihre Körperbewegungen die Spielfiguren auf dem Bildschirm steuern.

An zahlreichen Hochschulen weltweit werden zudem Roboter entwickelt, die für die Rehabilitation eingesetzt und mit Computerspielen kombiniert werden. «iCTuS jedoch soll so preisgünstig sein, dass es längerfristig auch beim Patienten zuhause eingesetzt werden kann», sagt Kynan Eng.

Messen und steuern

Auf dem Weg zu diesem Ziel betreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Grundlagenforschung. Sie schauen den Probanden beim Training unter anderem mittels Magnetresonanztomographie (MRI) ins Gehirn. Sie wollen herausfinden, welchen Unterschied es macht, ob ein Patient dem Spiel nur passiv zuschaut, dabei eigene Bewegungen visualisiert oder diese effektiv ausführt.

In Zusammenarbeit mit Neuroradiologen des Unispitals Zürich hat das Team um Kynan Eng zeigen können, dass nur schon das Betrachten der Games bei den Probanden ähnliche Hirnregionen aktiviert, wie wenn sie sich selber bewegen würden. Verantwortlich dafür ist das so genannte Spiegelneuronen-System.

Dieses ist noch stärker aktiviert, wenn die Probanden nicht nur passiv zuschauen, sondern sich eigene Bewegungen bildlich vorstellen. Diese Erkenntnis könnte insbesondere für Patienten hilfreich sein, die nach einer Hirnverletzung einen bestimmten Körperteil (noch) nicht bewegen können.

Die These: Wer Bewegungen visualisiert und damit die entsprechenden Hirnareale aktiviert, wird eher fähig sein, die Bewegungen auch real wieder auszuüben. Ob dies tatsächlich zutrifft und welche klinische Relevanz die bisherigen Erkenntnisse haben, wird derzeit in weiteren Studien untersucht. iCTuS wäre weltwelt die erste Form von Rehabilitation, welches diese Befunde in der virtuellen Realität umsetzt.

Kynan Eng: Unterstützung von «Venture Kick» in Sicht.

Für Bein und Heim

Weiter stellt sich für iCTuS derzeit die Frage, für welche Patienten und in welchem Zeitfenster nach einer Hirnverletzung das Game-Training am sinnvollsten ist. In Zusammenarbeit mit der Uniklinik Balgrist ist das Team um Kynan Eng damit beschäftigt, das neue Reha-Instrument auch für das Training der Beine nutzbar zu machen.

Ein Spin-off soll ermöglichen, dass iCTuS baldmöglichst von vielen Patienten genutzt werden kann. Den ersten Schritt zum marktfähigen Produkt hat Kynan Eng bereits hinter sich. Im Dezember schaffte er beim Business-Wettbewerb «Venture Kick» die erste Stufe der Beurteilung. Im April folgt die nächste Präsentation, und wenn Eng auch ein halbes Jahr später die Jury von «Venture Kick» von seiner Idee überzeugen kann, erhält er insgesamt 130'000 Franken als Startgeld für ein Unternehmen.

«Venture Kick ist aber nicht nur wegen des Geldes interessant. Noch wichtiger ist das Coaching, der strukturierte Prozess auf dem Weg zur eigenen Firma und das Networking, dank dem wir mit möglichen Investoren in Kontakt kommen», gibt sich Eng überzeugt.

Der Investitionsbedarf ist gross, denn neben einer Game-Installation für Kliniken arbeitet das Team auch daran, für das Kinderspital eine Version des iCTuS zu entwickeln, welche die Patienten zuhause benutzen können. Die Eltern dürften staunen, wenn die Kinder in Zukunft mit einer Game-Konsole aus dem Spital nach Hause kommen.