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Als Reverend Donovan Ng Mitte der 1990er Jahre in Hongkong die «Wing Kwong Church» gründete, zählte sie acht Mitglieder. Heute sind es rund 5000. Das Wachstum seiner evangelikalen Kirche ist kein Einzelfall. Während das Christentum in Europa mit sinkenden Mitgliederzahlen und Imageproblemen kämpft, verzeichnet es in Lateinamerika und Ostasien einen rasanten Mitgliederzuwachs.
Besonders ausgeprägt ist dieser in China: «Es findet ein eigentlicher Boom statt, vor allem evangelikale Strömungen haben Zulauf», sagt Konrad Schmid, Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Zürich.
China zählt heute schätzungsweise 60 bis 70 Millionen Protestanten und 12 Millionen Katholiken. 1949 hatten sich erst 1,8 Millionen Chinesen zum Christentum bekannt.
Um mehr über die Situation des Christentums in China zu erfahren und auf der Suche nach wissenschaftlichen Kooperationen, brach im Sommer 2009 eine Gruppe von Theologen und Religionswissenschaftlern der Universität Zürich (Konrad Schmid, Pierre Bühler, Ralph Kunz, Dorothea Lüddeckens, Christoph Uehlinger) zu einer Chinareise auf. Sie besuchten Fachkolleginnen und -kollegen an Hochschulen sowie Kirchen in Hongkong, Shanghai, Nanjing und Peking.
«Der Staat bekundet neuerdings ein Interesse daran, dass sich das Christentum und insbesondere der Protestantismus in China ausbreitet. Vielleicht hoffen die Machthaber, damit die ethischen Grundlagen für eine ökonomisch aktive Bevölkerung zu legen», so Konrad Schmid. Der Protestantismus gilt auch im offiziellen China als modern, fortschrittlich und wirtschaftsfreundlich, hat die Reisegruppe festgestellt.
Zu den Sympathien seitens der Regierung könnte auch beitragen, dass Protestanten als loyale Staatsbürger gelten, die zwischen irdischer und göttlicher Gerechtigkeit unterscheiden und sich nicht gegen weltliche Machthaber auflehnen. Im Gegensatz etwa zu Katholiken sind Protestanten zudem föderalistisch organisiert, sodass kein Papst als starke Figur sich in die chinesischen Angelegenheiten einmischen könnte.
Trotzdem: Die Haltung des chinesischen Staates zu den Religionen ist nach wie vor zwiespältig. Zwar gehören Protestantismus und Katholizismus gemeinsam mit Daoismus, Buddhismus und Islam zu den offiziell anerkannten Religionen in China. Aber auch heute ist die Bibel nicht überall in China legal erhältlich.
«Open Doors», eine Organisation, die sich weltweit für benachteiligte und verfolgte Christen einsetzt, setzt China denn auch auf Rang 13 der restriktivsten Staaten und stellt fest: «Das Land hat viele Gesichter, auch was die Religionsfreiheit anbelangt.»
Private Zusammenkünfte von Christen in der Form von «Hauskirchen» beispielsweise werden gemäss «Open Doors» immer wieder willkürlich eingeschränkt. Während der Olympischen Spiele von 2008 waren nicht nur Menschenrechtsaktivisten, sondern auch Christen unter Hausarrest gestellt worden.
«Die Studienreise hat sich sehr gelohnt», so das Fazit von Konrad Schmid. Das Interesse an westlicher Philosophie und Theologie sei in China gross. Bisher finde die internationale Zusammenarbeit der chinesischen Theologen insbesondere mit den USA statt – unter anderem wegen guten Stipendienmöglichkeiten. Die chinesischen Gesprächspartner äusserten aber Unbehagen über diese US-Dominanz, zumal deren Theologie bisweilen evangelikal-fundamentalistisch ausgerichtet sei.
Mehrfach sei der Wunsch nach einer reflektierten, wissenschaftlich orientierten Theologie geäussert worden, wie sie etwa in Zürich stattfindet. «Es liegt sehr in unserem Interesse, jetzt in China aktiv zu werden», sagt Schmid. Der Standort Zürich als eine der Geburtsstätten des Protestantismus habe viel zu bieten.
Die Reise blieb nicht ohne praktische Auswirkungen. Bereits in diesem Sommer finden in Zürich gemeinsame Veranstaltungen für Doktorierende statt, etwa eine Lehrveranstaltung («Interkulturelle Theologie») sowie eine Summer School («Religion and the Sociology of Religion in Contemporary China»).