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Völkerkundemuseum

Aussereuropäische Sprachen der Kunst

Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich stellt seit den 1970er-Jahren immer wieder zeitgenössische Kunst aus Afrika und Kanada aus. Damals wie heute ist aber umstritten, welchen Stellenwert das aussereuropäische Kunstschaffen hat. Das Völkerkundemuseum beleuchtet diese Debatte nun anhand von noch nie gezeigten Beständen aus seiner Sammlung mit Druckgrafiken aus Kanada und Äthiopien. 
Sascha Renner

Die Jagd war erfolgreich. Eine Robbe baumelt schlaff von der Schulter eines eingemummten Jägers. Die Männer hängen Fleisch und Felle zum Trocknen an eine Leine. Die schematischen Umrisslinien der Gestalten wirken unbeholfen, verleihen ihnen aber gleichzeitig eine eigenständige, moderne Handschriftlichkeit.

Der Schöpfer der Radierung heisst Kiakshuk (1886–1966). Er war Inuit-Jäger und lernte das Druckhandwerk von einem jungen weissen Künstler, der Ende der 1950er-Jahre damit begann, Workshops und Kooperativen im Norden Kanadas einzurichten. Der Verkauf von Kunstdrucken verschaffte Kiakshuk und anderen Inuit nach der Aufgabe der traditionellen, halbnomadischen Lebensweise ein Auskommen.

Ist es Kunst?

Eine Serie dieser frühen Inuit-Drucke gelangte 1964 ins Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Nun sind die Radierungen, die ein anschauliches Bild der Lebensweise der Inuit geben, Teil einer Ausstellung mit dem Titel «Willkommene Kunst?». Das Fragezeichen ist bewusst gesetzt. Es verweist auf die Kernfrage im Umgang mit aussereuropäischer Kunst: Ist sie Kunst in einem modernen, westlichen Verständnis? Und wenn ja, wohin gehört sie?

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Frage einfach zu beantworten: Keine Kunst. Erst als Picasso, Kirchner, Klee und andere Moderne sich auf die Stammeskunst beriefen, rückte das Schaffen traditionaler Gesellschaften in den Status von Kunst. Ein universaler Kunstbegriff setzte sich durch, der alle künstlerischen Äusserungen, ob traditionsverbunden oder in der westlichen akademischen Tradition stehend, als ebenbürtig propagierte.

Vögel stehlen dem Mann ein Kajak. Steinschnitt von Leah Qumaluk Puvirnituq.

Leidenschaftliche Diskussionen entzündeten sich aber in den 1970er-Jahren an der Frage, inwiefern auch das zeitgenössische Schaffen aus der dritten Welt zu sammeln und auszustellen sei. Während Kunstmuseen es mit wenigen Ausnahmen ablehnten, ihre Tore zu öffnen, begannen die Völkerkundemuseen damit, das zeitgenössische aussereuropäische Schaffen zu präsentierten und zu würdigen– zum Preis seiner Marginalisierung als Ethno-Kunst.

Unbedarft, raffiniert oder traditionell

Das Völkerkundemuseum der Universität beteiligte sich massgeblich an dieser Debatte, indem es zeitgenössische indianische und afrikanische Kunst regelmässig zur Diskussion stellte. Das tut es auch jetzt wieder. Die Ausstellung «Willkommene Kunst?» wirft anhand dreier noch nie gezeigter Sammlungsbestände einen Blick zurück auf die Debatte, die seit den 1990er-Jahren zwar an Hitzigkeit verloren hat, aber nicht grundsätzlich entschieden ist.

Die drei Werkgruppen aus Kanada und Äthiopien fordern die eigene Bewertung auch heute noch hinaus. Der krakelige Strich der Inuit wirkt unbedarft, aber gerade dadurch modern. Die zweite Werkgruppe, die Kunst der Waldland-Indianer, beeindruckt durch eine ikonische Raffinesse der Komposition, genügt aber in der Wiederholung traditioneller Motive und Formen nicht dem westlichen Kriterium nach ständiger Innovation.

Die dritte Werkgruppe stammt vom äthiopischen Künstler Falaka Armide Yimer. Er durchlief im Gegensatz zu den Inuit- und Waldland-Künstlern eine Ausbildung an einer Kunstakademie in Addis Abeba. Folkloristische und christliche Motive  kommen in einem expressionistischen Stil zur Darstellung. Traditionsverbundenheit und Teilhabe an der Moderne verbinden sich anschaulich in seinem Werk.

Die stille Nacht. Holzschnitt von Falaka Armide.

Jenseits der Debatte um den Stellenwert dieser Werke ist es ihre erstaunliche Vielfalt und Ausdruckskraft, die einen Besuch der Ausstellung lohnend macht. Die Werke spiegeln die Auseinandersetzung ihrer Schöpfer mit der westlichen dominanten Zivilisation. Sie erzählen Geschichten von der selbstbewussten Aneignung der Moderne, aber auch von der Behauptung  der eigenen, sinnstiftenden Überlieferung.

Darin liegt der besondere Reiz und die Einzigartigkeit dieser Arbeiten.

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