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Schlafforschung

Aufräumen im Kopf

Wenn wir tief schlafen, beginnt in unserem Gehirn das grosse Reinemachen. Unwichtige Nervenverbindungen werden gelöscht, Lernfortschritte vom Vortag optimiert, und es wird Platz für Neues geschaffen.  
Roger Nickl

Während die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten viele Erkenntnisse über das Lernen im Wachzustand zu Tage gebracht hat, ist der Schlaf noch wenig erforscht. Feststeht, dass das Hirn sich zwischen Wachsein und Schlaf selbst reguliert und dafür sorgt, dass es optimal funktioniert – die Forscher sprechen deshalb auch von einer synaptischen Homöostase, die das System im Gleichgewicht hält. Übernimmt der Schlaf vor allem die Aufgabe, das erfolgreiche Lernen am Tag zu ermöglichen?

Schlafendes Kind: Im Land der Träume gelten völlig andere Gesetze.

«Ich glaube nicht, dass es die wichtigste Funktion des Schlafes ist, das Lernen zu verbessern», betont Reto Huber, «im Vergleich zum Wachzustand sind die Lernfortschritte, die wir in der Schlafforschung beobachten, entsprechend eher klein.» Dass nach einer ausgeruhten Nacht dennoch ein Lernerfolg zu verbuchen ist, ist folglich nicht mehr als ein positiver Nebeneffekt.

Diesen Befund konnte Huber bei seinen Untersuchungen am Kinderspital Zürich mit vielen der 60 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 8 und 25 Jahren machen, die seine Test in den letzten zwei Jahren durchliefen. Doch wie lässt sich der beobachtete Lerneffekt im Schlaf erklären? Um diese Frage zu beantworten, muss man zuerst einen Blick darauf werfen, wie Lernprozesse in unserem Hirn ablaufen.

Optimierung nach der Pubertät

Seit den 1970er-Jahren geht man in den Neurowissenschaften davon aus, dass eine Langzeitpotenzierung von Synapsen massgeblich für das Lernen verantwortlich ist. «Im Vergleich zu Erwachsenen, mit denen wir solche Tests früher durchgeführt haben, ist bei Kindern eine viel grössere Hirnregion involviert», betont der SNF-Förderprofessor. Dies weist darauf hin, dass die Nervenzellen in ihrem Hirn viel engmaschiger verknüpft sind. Tatsächlich wird das synaptische Netz in den ersten Lebensjahren immer komplexer. Kurz vor der Pubertät erreicht die Vernetzung ihren Höhepunkt.

Danach tritt eine radikale Gegenbewegung ein: Unwichtige Synapsen lösen sich auf, das Hirn beginnt sich zu optimieren – ein Prozess, der bis ins frühe Erwachsenenalter anhält.

Schlafforscher Reto Huber: «Ich glaube nicht, dass es die wichtigste Funktion des Schlafes ist, das Lernen zu verbessern.»

Datenautobahn im Kopf

Durch wiederholtes Training werden bestimmte neuronale Verbindungen im Hirn verstärkt. Der Informationsaustausch wird dadurch einfacher, effizienter und schneller. Bildlich gesprochen bildet sich in unserem Kopf durch Übung mit der Zeit ein Netz von Datenautobahnen aus, das laufend um- und ausgebaut werden kann.

Denn unser Denkorgan bleibt, wie die Wissenschaft heute weiss, bis ins hohe Alter flexibel und lernfähig. Obwohl die Hypothese der Langzeitpotenzierung als Grundlage für das Lernen von vielen Forscherinnen und Forschern unterstützt wurde, blieb die Wissenschaft den Nachweis lange Zeit schuldig: Erst 2006 konnten amerikanische Forscher bei einer Studie mit Ratten die postulierte Verstärkung von Nervenverbindungen im Hirn auch tatsächlich beobachten.

La-Ola-Wellen im Hirn

Um nun den positiven Effekt des Schlafs auf das Lernen zu erklären, gingen Wissenschaftler lange davon aus, dass die durch tägliches Training aufgebauten synaptischen Verbindungen sich in der Nacht weiter verstärken. Sie tun dies, indem am Tag gemachte Erfahrungen im Schlaf wie ein Film nochmals abgespielt werden und sich so weiter verfestigen. Dies besagt jedenfalls die Replay-These, die auch heute noch viele Anhänger hat.

Für Reto Huber spricht jedoch einiges gegen eine solche Sicht der Dinge. «Ein solches Replay ist nicht schlafspezifisch», betont der Neurobiologe, «man kann das Phänomen auch beim Lernen im Wachzustand feststellen.» Sein Ansatz, den Zusammenhang von Schlafen und Lernen zu erklären, ist deshalb ein anderer. «Die Befunde unserer Forschung weisen auf viel globalere Prozesse hin, die in unserem Hirn während des Schlafens ablaufen», sagt Huber.

Denn obwohl unser Gehirn im Schlaf fast genauso aktiv ist wie im Wachzustand, gelten im Land der Träume völlig andere Gesetze: In der für die Erholung entscheidenden Tiefschlafphase verbünden sich die Nervenzellen in unserem Kopf zu einer Einheit und senden – wie Fussballfans, die bei einer La-Ola-Welle gleichzeitig ihre Hände in den Himmel recken – in periodisch wiederkehrenden Zeitabständen elektrische Signale aus. Sie erzeugen auf diese Weise die für den Tiefschlaf typischen langsamen Hirnstromwellen. «In dieser Schlafphase sind die synaptischen Verbindungen zwar noch intakt», betont Huber, «aber es findet keine effektive Kommunikation mehr zwischen ihnen statt.»

Deshalb ist es auch schwierig, sich vorzustellen, wie zu diesem Zeitpunkt eine aktive Potenzierung der Nervenverbindungen geschehen soll, wie sie die Replay-These voraussagt.  

Überflüssige Synapsen aussortieren

Huber vertritt dagegen die Downscaling-Hypothese. Sie sieht den Schlaf als grosse Gegenbewegung zur synaptischen Potenzierung während des Tages. Im Wachzustand nimmt unser Körper eine Vielzahl von Informationen auf, die im Gehirn verarbeitet werden. Die synaptischen Verbindungen werden in dieser Zeit ausgebaut und verstärkt – bis zu einem Punkt, an dem wir den Kopf sozusagen voll haben. Das System läuft am Limit.

Dann tritt der Schlaf auf den Plan. Vor allem in der Tiefschlafphase kann sich unser Hirn regenerieren und wieder aufnahmebereit für den nächsten Tag machen. In unserem Kopf wird dann aufgeräumt: Schwächere, unwichtigere Verbindungen zwischen den Nervenzellen werden gelöscht, während stärkere und entsprechend wichtigere Kontakte bestehen bleiben – genau das meint der englische Begriff «downscaling».

Stimmt diese Annahme, so werden die in den Tests beobachteten Lerneffekte im Schlaf also nicht dadurch hervorgerufen, dass bestimmte Verknüpfungen im Hirn durch ein Replay weiter verfestigt, sondern das  überflüssige Verbindungen aussortiert werden und so eine Optimierung stattfindet.

Die Optimierung der Nervenverbindungen, wie sie in der Pubertät zu beobachten ist, wiederholt sich in einem kleineren Massstab also quasi Nacht für Nacht.

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