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Kindliche Entwicklung

Übergänge - vom Kleinkind zum Schulkind

Die Tagung «Übergänge - vom Kleinkind zum Schulkind» der Abteilung Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich stiess auf grosses Interesse. Kinderarzt Oskar Jenni erzählte UZH News, welches wichtige Entwicklungsschritte von Kindern zwischen 4 und 7 Jahre sind.
Brigitte Blöchlinger
Spezialisten der Kindesentwicklung: Oskar Jenni (li), der Nachfolger von Remo Largo (re) am Kinderspital Zürich.

Nicht nur im ersten Lebensjahr, auch zwischen 4 und 7 Jahren passiert in der Entwicklung von Kindern viel. Der Entwicklungsschritt vom Kleinkind zum Schulkind umfasst Übergänge vom magischen Denken und Selbstbezogenheit zu konkret logischen Fähigkeiten und dem Verständnis von sozialen Regeln. Weitere Entwicklungen zeigen sich auch beim Zeichnen, wo die Kinder vom Kritzeln zur Menschzeichnung wechseln; sie äussern sich ausserdem im Schlafverhalten, wo der Mittagsschlaf wegfällt und die Dauer des Nachtschlafs abnimmt; und in der Motorik, wo die Feinmotorik so weit fortschreitet, dass das Kind schreiben und dank ausgebauter Koordinationsfähigkeiten Velo und Ski fahren und schwimmen lernen kann.

Bis auf den letzten Platz besetzt: Die Tagung zu den Übergängen vom Kleinkind zum Schulkind stiess auf reges Interesse.

Angemessen mit Kindern umgehen

«Die Kenntnis, wie sich Kinder entwickeln, gehört zum Handlungswissen von Fachleuten wie zum Beispiel Kinderärztinnen und Kinderärzten», betont Privatdozent Oskar Jenni, Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich. Dennoch ist die «normale» Kindesentwicklung in der klinischen Arztausbildung nur am Rande ein Thema, und pathologische Entwicklungen stehen im Vordergrund. Die Tagung «Übergänge – vom Kleinkind zum Schulkind» will diese Lücke schliessen und wendet sich an Fachpersonen, die in ihrem Alltag mit Kindern zu tun haben.

Gerade im Krankheitsfall ist es wichtig, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal Entwicklungsaspekte des Kindes kennen, um angemessen mit den kleinen Patienten umgehen zu können. Als Beispiel nannte der Kinderarzt Oskar Jenni an der Tagung die unterschiedlichen Zeitvorstellungen, die verschieden alte Kinder haben, und die es im Gespräch mit einem Kind zu berücksichtigen gilt. Für ein vierjähriges Kind bedeutet «Übermorgen wirst du entlassen» nicht viel; es kann sich darunter noch nichts vorstellen, hat noch keine klare Zeitvorstellung und «entlassen werden» gehört nicht zu seinem aktiven Wortschatz. «Noch zweimal schlafen und dann darfst du heim», wäre in diesem Fall eine altersgerechte Formulierung.

Magisches und konkretes Denken

Kleine Kinder haben eine ganz eigene Art zu denken. Sie beziehen sich stark auf konkrete Dinge, zum Beispiel auf ein Lieblingsstofftier, und «beseelen» es. Viele Dinge können lebendig werden, indem sie zum Beispiel sprechen (man hört es einfach nicht so gut), weglaufen (wenn man sie nicht findet) oder Einfluss nehmen (ohne sie kann man nicht einschlafen).

Dieses Phänomen hängt mit der starken inneren Vorstellungskraft zusammen, die Kinder zwischen zwei und sechs Jahren entwickeln und die oft magische Züge annimmt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Überzeugung von Kindern in diesem Alter, dass es Glück bringe, wenn sie etwas Bestimmtes tun (z. B. immer genau auf die Bodenplatten stehen), und Pech, wenn es ihnen misslingt (und sie auf den Rand kommen – oder umgekehrt).

Das magische Denken schwindet mit zunehmendem Alter, es lassen sich aber auch bei Erwachsenen meist noch Spuren davon finden, wie der Genfer Psychiater und Piaget-Schüler Stefano Colombo an der Tagung anschaulich ausführte. Bei jungen wie bei älteren Patientinnen und Patienten kann das magische Denken als Türöffner zur Innenwelt genutzt werden und so helfen, mit Ängsten und Störungen umzugehen.

Oskar Jenni, Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, während seines Vortrags zur Entwicklung des Kindes.

Vom Kritzeln zur Menschzeichnung

Ein weiterer Zugang zur Innenwelt von Kindern sind Zeichnungen. «Wir alle, die mit Kindern zu tun haben, sind von ihren Zeichnungen berührt», ist Oskar Jenni überzeugt. Dieser emotionale Zugang zu Kindern lässt sch im Alltag einsetzen, zum Beispiel indem man Kinder während einer Besprechung mit den Eltern zeichnen lässt. Zeichnen tun (fast) alle Kinder gern, und es schafft eine vertrauensvolle Atmosphäre in der kinderärztlichen Praxis. «Der Beziehungsaspekt ist beim Zeichnen sehr wichtig», sagt Jenni.

Feinmotorik und Intelligenz

Zeichnen steht aber auch zum Entwicklungsstand des Kindes in Beziehung. «Je besser ein Kind zeichnet, desto weiter ist es in der Entwicklung», fasst Jenni zusammen. Allerdings darf von unbeholfenem Kritzeln im Kleinkindalter nicht auf eine mangelnde Intelligenz geschlossen werden. Die Auswertungen der Zeichnungen der Zürcher Longitudinalstudien haben ergeben, dass die Feinmotorik beim Zeichnen in den ersten Lebensjahren eine grosse Rolle spielt. «Bis zum Alter von sechs Jahren gibt es noch keine Beziehung zwischen der Menschzeichnung und der kognitiven Leistungsfähigkeit eines Kindes», fasst Jenni die Studienergebnisse zusammen. «Das Kind muss zuerst die feinmotorischen Fertigkeiten entwickeln, die Inhalte, die es sich vorstellt, auch aufs Papier zu bringen», so Jenni.

Wenn 4-Jährige noch keine Menschen zeichnen, heisst das also nicht, dass sie einen Entwicklungsrückstand haben; sie sind allenfalls feinmotorisch nicht so weit wie andere. Um zu bestimmen, wo ein Kind in seiner Entwicklung steht, dürfen daher nicht nur Zeichnungen, sondern muss die gesamte Entwicklung des Kindes umfassend beurteilt werden.

Schlafen – Erwartungen und Realität

Auch zum kindlichen Schlafverhalten hat die Forschungsgruppe der Abteilung Entwicklungspädiatrie Neues herausgefunden: Es kommt vor allem auf die elterlichen Erwartungen bezüglich Schlafdauer und Einschlafzeit an, ob das kindliche Schlafverhalten problematisch ist oder nicht. «Nicht die Eigenart des Kindes ist das Problem, sondern wie die Umwelt damit umgeht», sagt Jenni. Stört sich die Umwelt daran, wird die betreffende Eigenschaft des Kindes problematisch beurteilt; kann die Umwelt damit leben, hat niemand Schwierigkeiten damit.

Fit-Konzept: Wenn die Erwartungen der Umwelt an ein Kind mit seinen Eigenheiten übereinstimmen, bestehen die besten Entwicklungsmöglichkeiten für das Kind.

Das Fit-Konzept

Dieses Prinzip, dass Erwartungen der Umwelt (Eltern, Schule etc.) mit den Eigenheiten des Kindes übereinstimmen müssen (englisch «to fit»), wurde von Remo Largo, dem Vorgänger von Oskar Jenni, in Anlehnung an die beiden amerikanischen Kinderpsychiater Thomas und Chess als Fit-Konzept bezeichnet. Stimmen die Erwartungen der Umwelt mit den Eigenheiten des Kindes überein, dann liegen optimale Entwicklungsbedingungen vor. In Bezug auf die Entwicklung des Schlafes bedeutet das Fit-Konzept, dass die Eltern ihre Erwartungen an das kindliche Schlafverhalten überprüfen sollten, ob diese auch den Eigenheiten des Kindes entsprechen. Es macht nämlich keinen Sinn, aus Eulen Lerchen machen zu wollen und umgekehrt.

Motorische Entwicklung

Die Abteilung Entwicklungspädiatrie hat in den letzen 15 Jahren ein Abklärungsinstrument entwickelt, mit welchem man die motorische Leistungsfähigkeit und Bewegungsqualität von Kindern und Jugendlichen zwischen 5 und 18 Lebensjahren erfassen kann. Um motorische Entwicklungsstörungen dereinst möglichst früh erfassen zu können, untersuchen nun Jenni und sein Team in Zusammenarbeit mit der Freiburger Bewegungswissenschafterin Tanja Kakebeeke die Motorik von 3- bis 5-Jährigen. Die Pilotstudie wurde an der Tagung vorgestellt.

Kinder mit besonderen Bedürfnissen

Zum Abschluss der Tagung thematisierte Jenni, wie wichtig es sei, dass man den Entwicklungsstand auch von Kindern mit Störungen wie dem Down-Syndrom oder dem Fragilen X-Syndrom möglichst gut erfasst. Denn es gebe auch bei diesen Kindern nicht einfach eine einzig mögliche Entwicklung, sondern eine grosse Vielfalt, was sie können und was nicht. Auch bei Kindern mit einer Entwicklungsstörung müsse versucht werden, «einen Fit» zwischen den Anforderungen der Umwelt und den Eigenheiten des Kindes herzustellen. «Dazu müssen Sie diese Kinder möglichst gut erfassen, sonst geht man mit ihnen nicht angemessen um», schloss Jenni. «Die Anforderungen an das Kind und die Grenzen, die man ihm setzt, müssen für das Kind realistisch und zu bewältigen sein.»

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