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Kriminalität

Tatort Schweiz

Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger von der Universität Zürich tritt als Experte in einer Dokumentationsserie des Schweizer Fernsehens auf. In der Serie werden besonders brutale Schweizer Kriminalfälle in der Rückschau noch einmal aufgerollt - mit zum Teil überraschenden Ergebnissen. 
Fragen an Ch. Schwarzenegger: Marita Fuchs
UZH-Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger: Vertiefte Auseinandersetzung mit der Geschichte hinter dem Fall.

UZH News: Herr Schwarzenegger, sieben Kriminalfälle werden in der Dokumentationsserie des Schweizer Fernsehens filmisch nacherzählt und analysiert. Darunter Fälle, die das Land aufwühlten, wie etwa der Elternmord von Wohlen, der Fall von Marco Camenisch, dem Aussteiger und Umweltaktivisten, der zum Ökoterroristen wurde, oder das Attentat von Zug. Über alle Fälle wurde in den Medien umfassend berichtet. Was erfahren wir nun Neues?

Prof. Christian Schwarzenegger: Die meisten der präsentierten Kriminalfälle sind nur aus den Schlagzeilen bekannt. Ziel dieser Serie von Dokumentarfilmen ist der Blick hinter die Kulissen. Ich habe mich zusammen mit den Dokumentarfilmerinnen und -filmern des Schweizer Fernsehens jeweils mit den Ursachen der Taten, mit der Opfer- und Täterperspektive und der juristischen Aufarbeitung befasst.

Interessant ist der Fall des sogenannten «Hammermörders»; zu diesem hat der Regisseur Michael Hegglin zum Beispiel herausgefunden, dass am Abend der Tat über eine ganz ähnliche Tötung im österreichischen Fernsehen berichtet wurde. Dabei erklärte ein Gerichtsmediziner, die Opfer würden bei einem gezielten Hammerschlag auf den Kopf nichts spüren und seien sofort tot.

Ob der psychisch gestörte Täter diese Sendung gesehen hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, aber die Koinzidenz ist verblüffend. Im Film über Marco Camenisch interessiert die Fortsetzung der Geschichte seit seiner Auslieferung von Italien an die Schweiz. Der Indizienprozess vor dem Zürcher Geschworenengericht musste zweimal durchgeführt werden. Zuerst wurde er wegen des Mordes an einem Grenzwächter in Brusio zu 17 Jahren verurteilt. Im zweiten Anlauf musste diese Strafe unter Berücksichtigung eines italienischen Urteils auf acht Jahre reduziert werden.

Im Film über den «Todespfleger» aus der Innerschweiz stellt sich die beklemmende Frage, wie es möglich war, dass der Täter so lange unentdeckt in den Pflegeheimen demenzkranke Patientinnen und Patienten töten konnte.

Sie treten in allen Folgen als Strafrechtsexperte auf und erklären schwierige juristische Sachverhalte auf verständliche Weise. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?

Ich bin seit 2007 als Experte für die Sommerserie des SF-DOK im Einsatz. Als Strafrechtsprofessor befasse ich mich praktisch täglich mit der rechtlichen Beurteilung von Straftaten, habe aber kaum die Möglichkeit zur vertieften Auseinandersetzung mit der Geschichte hinter einem Fall.

In der intensiven Beschäftigung mit den Akten und Urteilen der sieben vorgestellten Fälle lerne ich daher immer sehr viel dazu. Es gibt zahlreiche spannende Diskussionen mit den Autorinnen und Autoren der Filme und viele Fragen, zu denen man keine Antworten in den Büchern findet. Ich möchte mit diesen Dokumentarfilmen auch dazu beitragen, das Strafrecht für die Zuschauerinnen und Zuschauer verständlich zu erklären.

Müssen heute manche der geschilderten Fälle umgedeutet und unter juristischem Blickwinkel anders interpretiert werden?

Es geht nicht so sehr um eine Umdeutung der Fälle, sondern um einen genaueren Einblick. Im Film über die Exekution eines Kollegen innerhalb einer rechtsextremen Gruppierung im Berner Oberland («Die Rache der arischen Ritter») spricht einer der verurteilten jungen Täter beispielsweise zum ersten Mal öffentlich über die Gründe, die zu seiner Mitwirkung an dem sinnlosen Mord geführt haben.

Der Film über den Mord an einem Lehrer in St. Gallen zeigt drastisch, wie unterschiedlich diese Tat aus schweizerischer und aus kosovarischer Sicht noch heute gedeutet wird.

Der Täter konnte nach der Tat nach Serbien fliehen. Zwar wurde er dort wegen des Mordes auch angeklagt, doch gelang es ihm, das Gericht von «seiner Version» eines Ehrenmordes zu überzeugen. Dabei stand nach den Untersuchungsergebnissen der St. Galler Staatsanwaltschaft fest, dass der Täter – und nicht etwa der Lehrer – die Tochter des Täters sexuell missbraucht hatte.

Das serbische Gericht würdigte die Beweise ganz einseitig zu Gunsten des Täters. Das Urteil von vier und einem halben Jahr Gefängnis und die sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft nach diesem Urteil sind aus Schweizer Sicht völlig unverständlich. Juristisch stellt sich nun die Frage, ob die Schweiz noch einmal ein Strafverfahren gegen den Täter durchführen darf und wie sie seine Auslieferung bewirken könnte.

Gibt es die immer wieder gleichen Motive, aus denen Verbrechen passieren?

Tötungsdelikte sind mehrheitlich Beziehungsdelikte. Dabei spielen Emotionen eine grosse Rolle. Es ist kriminologisch auch nachweisbar, dass die Risiken völlig ungleich verteilt sind. Männer werden am häufigsten von völlig fremden oder nur flüchtig bekannten Tätern im ausserhäuslichen Bereich getötet. Das Risiko, zu Hause einer Tötung zum Opfer zu fallen, ist sehr gering. Umgekehrt verhält es sich bei Frauen: Diese werden zu einem überwiegenden Teil von einem Familienmitglied oder einem Verwandten getötet, und zwar in erster Linie in den eigenen vier Wänden.

Christian Schwarzenegger: «Tötungsdelikte sind mehrheitlich Beziehungsdelikte.»

Die Serie wirbt mit dem Motto: «Das Böse ist unter uns», was hat das Böse mit dem Strafrecht zu tun?

Professor Volker Dittmann, Leitender Arzt für Forensische Psychiatrie an der Psychiatrischen Klinik der UPK Basel, wird in einem der Filme gefragt, wie es zu der völlig sinnlosen Tötung eines jungen Mannes kommen konnte. In seiner Antwort weist er darauf hin, dass viele Leute ein zu positives Menschenbild hätten. Jeder Mensch, insbesondere wenn er männlich ist, sei potentiell in der Lage, «einen Artgenossen» zu töten. Die Kriminalstatistik gibt ihm Recht: Pro Jahr kommt es zu rund 100 bis 120 Tötungen in der Schweiz, und die Tendenz ist nicht sinkend.

Die Reihe des Schweizer Fernsehens schreibt zum Fall des Hammermörders, der seine Frau und seine Kinder umbrachte: ein beklemmender Film über den ganz normalen Wahnsinn. Sind Verbrechen wirklich nicht vorhersehbar?

Hier gilt es zu unterscheiden. Im konkreten Fall handelte es sich um einen Mann, der wegen einer psychischen Störung depressiv wurde. Obschon sein Verhalten sehr auffällig war, konnte er sich beruflich integrieren und hatte eine Familie mit Kindern. Für sein Umfeld war der plötzliche Gewaltausbruch in dieser Art nicht vorhersehbar. In anderen Fällen lässt sich die Gefahr klarer prognostizieren.