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Könnte unser Immunsystem sprechen, würde es uns, wenn wir krank sind, strikte Bettruhe verordnen. Aber auch ohne solch explizite Anweisung sorgt unser Körper dafür, dass wir uns als Kranke und Rekonvaleszente nicht über die Massen verausgaben: Nicht Viren, Bakterien und Co nämlich, sondern unser eigenes Immunsystem fesselt uns an kranken Tagen ans Bett und macht uns müde und schlapp.
Das macht evolutionsbiologisch durchaus Sinn. Nicht nur der Schonung wegen – wie etwa Eltern gegenüber ihrem fiebernden Kind oder die Hausärztin gegenüber dem grippekranken Manager argumentieren. Ein zweiter Grund für Bett- beziehungsweise Nestruhe: Ein krankes, und somit womöglich kampfunfähiges Tier, das sich zurückzieht, ist vor Feinden besser geschützt. Drittens nützt der Rückzug auch der Population als Ganzes: Ein krankes Individuum, das sich aus eigenem Antrieb in eine Art Quarantäne begibt, schützt so seine Artgenossen vor einer weiteren Verbreitung des möglicherweise lebensbedrohlichen Krankheitserregers.
Was bei akuten Krankheiten sinnvoll und für kürzere Zeit auch gut auszuhalten ist, macht Menschen mit chronischer Polyarthritis, mit Multipler Sklerose (MS) oder entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn unter Umständen schwer zu schaffen: «Wer an einer chronischen Autoimmunkrankheit leidet, krankt oft an Tagesmüdigkeit, fühlt sich entkräftet, hat keinen Appetit», weiss Neuroimmunologe Adriano Fontana.
Zum Teil leiden die Betroffenen unter diesem so genannten «sickness behaviour syndrome» sogar mehr als an den eigentlichen körperlichen Symptomen ihrer Krankheit. Lange gingen Mediziner und Psychologen davon aus, dass diese Antriebslosigkeit bei Autoimmunerkrankungen oder chronischen Infektionskrankheiten ein reaktiver Effekt ist. Sprich, als psychische Folge des Krankseins auftritt. Doch diese Sicht ist unterdessen korrigiert worden, sagt Adriano Fontana: «Heute diskutieren Forscher viel eher darüber, ob die Müdigkeit nicht auf pathophysiologischen Vorgängen im Körper beruht.»
Ins Visier genommen hat Adriano Fontana, der zu den 100 weltweit am häufigsten zitierten Immunologen zählt, insbesondere körpereigene entzündungsmodulierende Botenstoffe. Diese so genannten Zytokine werden von Immunzellen ausgeschüttet. Sie beeinflussen etwa bei Morbus Crohn, bei Arthritis oder bei MS das krankheitsspezifische entzündliche Geschehen im Darm, in den Gelenken oder im Gehirn. Bei Polyarthritis etwa bringen die Botenstoffe andere körpereigene Eiweisse (so genannte Proteasen) dazu, den Gelenkknorpel zu schädigen. Aber nicht nur das, so ist Adriano Fontana überzeugt: «Bei Polyarthritis und anderen Autoimmunerkrankungen wirken die Zytokine wahrscheinlich auch auf Nervenzellen – und verändern so das Befinden und das Verhalten der Erkrankten.»
Gestützt wird dies auch durch die Beobachtung, dass sich Polyarthritiskranke die mit einem Zytokin-Blocker behandelt werden, bald weniger erschöpft und müde fühlen. Zytokin-Blocker vereiteln, dass Zytokine an Rezeptoren auf Zielzellen binden. Die Blocker hindern die pro-entzündlichen Botenstoffe also daran, ihre «Botschaft» weiterzutragen und unterbrechen somit nachgeschaltete molekulare Reaktionen im Körper. Adriano Fontana: «Die Gelenkschmerzen von Polyarthritispatienten bessern nach der Verabreichung des Zytokin-Blockers interessanterweise zunächst oft wenig.» Hingegen berichten die Patienten von schneller psychischer Erholung: Von einem Tag auf den andern fühlen sich die Patienten wach und kräftig, die Müdigkeit ist wie weggeblasen.
Bekannt ist auch, dass bei chronischer Polyarthritis, Morbus Bechterew, Schuppenflechte und anderen Autoimmunkrankheiten vermehrt Zytokine im menschlichen Immunsystem gebildet werden. Und, dass Krebspatienten während einer Immuntherapie mit dem Tumor-Nekrose-Faktor alfa (TNF alpha) über schwere Erschöpfungszustände klagen. TNF alpha ist ein Zytokin und für die Übertragung von Information zwischen Zellen, die an Entzündungsprozessen beteiligt sind, verantwortlich. Adriano Fontana sieht dieses Eiweiss als «den aussichtsreichsten Kandidaten», der das «sickness behaviour syndrome» vermittelt. Das Sandmännchen des Immunsystems könnte demnach TNF alpha heissen.
Die Ergebnisse der bisherigen Experimente von Fontanas Gruppe deuten darauf hin, dass TNF alpha vor allem gegenseitige Wechselwirkungen von Clock Genen – die etwa die Körpertemperatur und den Schlaf-Wachrhythmus steuern – stört. Dadurch wird der «Aktivitätsdruck» auf den Organismus gedrosselt. In ihrer zukünftigen Forschung will sich Fontanas Gruppe intensiv mit der Wirkung von Zytokinen auf die verschiedenen Clock Gene beschäftigen. Und die Wissenschaftler möchten auch den Zusammenhang zwischen der Veränderung der Bildung von Clock Genen im Gehirn und dem verminderten «Aktivitätsdruck» weiter ergründen.