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UZH News: Am achten europäischen Symposium der «Protein Society», einer amerikanischen Non-Profit-Organisation, die Proteinforscher und Industrie zusammenbringt, nehmen über 700 Wissenschafterinnen und Wissenschafter teil. Einer der rund 70 Vorträge trägt den Titel «Protein machines in cell biology: So much left to discover!». Was weiss man über Proteine?
Andreas Plückthun: Grundsätzlich bekannt ist, wie Proteine – umgangsprachlich auch Eiweisse genannt – die Zellen steuern. Zellen vermehren sich. Sie können neue Bausteine aufnehmen und anders zusammensetzen. Aber bevor dieses Wissen zum Beispiel für die Entwicklung von Medikamenten eingesetzt werden kann, muss klar sein, wo und wie man eingreifen muss. Dazu muss man die molekularen Details kennen.
Es gilt herauszufinden, wie ein Molekül aussehen muss, das einen bestimmten Prozess in einer Zelle verhindert, verstärkt oder hemmt. Was auch immer die Behandlung einer Krankheit erfordert. Es geht darum, immer feinere Methoden zu entwickeln, mit denen man die Eigenschaften der Proteine immer besser erforschen kann.
UZH News: Welche Impulse erhoffen Sie sich vom diesjährigen europäischen Symposium in Zürich?
Plückthun: Proteinforschung ist extrem komplex und die Geschwindigkeit der Forschung nimmt ständig zu. Umso wichtiger ist es, regelmässige Foren zu haben, um sich auszutauschen.
Besondere Fortschritte sind in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Methoden gemacht worden. Wir können heute die Struktur der Proteine sehr viel besser bestimmen als noch vor einigen Jahren, viel grössere Komplexe studieren, und Proteine «massschneidern».
UZH News: Die erstmalige «Aufklärung» der Struktur eines Proteins gelang vor 50 Jahren. Zwei der an diesem «scientific breakthrough» beteiligten Wissenschafter werden in Zürich anwesend sein und für ihre Arbeit geehrt werden. Weshalb war dieses Ereignis so bedeutend?
Plückthun: Dazumal war unklar, ob Proteine überhaupt eine definierte Struktur haben. Man dachte, Eiweisse seien etwas Flexibles, etwas Gallertartiges. Heute weiss man, dass die meisten Proteine – zumindest teilweise – erstaunlich geordnet sind und jedes einzelne Molekül eines Typs exakt die gleiche «Faltung» hat. Diese erstmalige genaue Bestimmung der Struktur eines Proteins, am Beispiel des Proteins Myoglobin, im Sommer 1959 war eine absolut heroische Tat.
UZH News: Weshalb gerade dieses Protein?
Plückthun: Myoglobin ist ein Protein, das im Muskelfleisch vorkommt und in genügend grosser Menge vorhanden war. Heute sind wir dank Gentechnik in der Lage, jedes Protein in beliebig grosser Menge herzustellen. Wir können Zellen dazu bringen, ein Protein unserer Wahl zu fabrizieren. Auch das ein grosser Unterschied zu früher.
UZH News: Was waren die Folgen der Entdeckung?
Plückthun: Das Wissen um die Strukturen der Proteine ist zu einem der Pfeiler der Biochemie und letztlich auch der Medizin geworden. Es bedeutet, dass man sich therapeutische Substanzen ausdenken kann, die sich selektiv nur an bestimme Proteine binden. Diese Substanzen können einzelne Proteine gezielt lahm legen und so eine bestimmte Krankheit an der Ausbreitung hindern.
UZH News: Das Biochemische Institut der Universität Zürich beschäftigt zweihundert Mitarbeitende, die in zwölf Forschungsgruppen aufgeteilt sind. Wo liegen die Forschungsschwerpunkte, und wo steht das Institut im internationalen Vergleich?
Plückthun: Wir konzentrieren uns auf folgende Fragen: Wie sind Proteine aufgebaut, unter welchen Bedingungen verändern sie sich, wann und wie interagieren sie? Die Hälfte der Mitarbeitenden sind Doktoranden und Postdoktoranden und wir spielen in der Proteinforschung durchaus in der Champions League mit.
UZH News: Unter den Sponsoren des Symposiums fungieren Unternehmen wie Roche, Novartis, Ciba, Merck Serono oder Syngenta. Und die Forschung des Biochemischen Instituts der Universität Zürich ist laut Homepage zu 65 Prozent aus Drittmitteln finanziert. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Industrie?
Plückthun: Die Industrie hat keinen Einfluss auf die Ausrichtung unserer Forschung, und diese Drittmittel sind ganz überwiegend staatliche Mittel, zum Beispiel vom Schweizerischen Nationalfonds. Im Gegensatz zur medikamenten-orienterten Forschung der Industrie können wir es uns leisten, mehr oder weniger interessanten Ideen oder Methoden einfach einmal nachzugehen. Sind wir erfolgreich, nimmt die Industrie diese Ideen oder Methoden auf. Wir machen klassische Grundlagenforschung. Wir testen an Modellsystemen neue Methoden und Konzepte und wollen herausfinden, weshalb etwas funktioniert oder nicht.
UZH News: Wovon träumt ein Wissenschafter, der über Proteine arbeitet?
Plückthun: Mein Traum wäre es, Proteine vollständig zu beherrschen. Ich möchte Proteine exakt so planen und herstellen können, dass sie genau das tun, was ich als Wissenschafter möchte.