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UZH News: 41 Prozent der befragten Jugendlichen im Kanton Zürich sagen, sie haben sich für den Konfirmationsunterricht angemeldet, «weil es ein gute alte Tradition ist». 48 Prozent geben an, «weil ich als Kind getauft wurde». Als Antwort nicht vorgegeben war «weil ich es wollte». Weshalb?
Thomas Schlag: «Weil ich es wollte» erschien uns als zu allgemein. Man hätte daraus das genauere Motiv nicht ablesen können. Es gab aber das Item «weil ich mich zur Teilnahme gezwungen fühlte». Und da antworteten nur 16 Prozent mit Ja. 10 Prozent sind unentschieden und 74 Prozent sagen Nein. Dies erlaubt den Schluss, dass immerhin etwa drei Viertel aus primär freien Stücken teilgenommen haben. Worüber wir naturgemäss nichts wissen, sind die Motive derer, die nicht teilnehmen oder die bis zum Ende des Jahres ausgestiegen sind. Das ist in der Tat ein blinder Fleck.
Auf die Frage, welche Ziele sie sich für die Konfirmandenzeit setzen, sagen 25 Prozent, sie möchten «mehr über Gott und Glauben erfahren». 20 Prozent wollen «im Glauben an Gott gestärkt werden». Am anderen Ende der Skala geben 66 Prozent als Ziel an, «am Ende Geld oder Geschenke zu bekommen». Weshalb interessieren Glaubensziele kaum?
Die Jugendlichen mussten alle Fragen beantworten. Insofern gibt es einerseits wohl kaum Jugendliche, die «reine» Glaubensziele verfolgen. Andererseits ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein Teil der Geldinteressierten durchaus mehr über Gott und Glauben erfahren will.
Zu berücksichtigen ist auch, dass viele Jugendliche am Anfang des Jahres noch keine genaue Vorstellung von dem haben, was im Konfirmandenjahr alles passieren wird oder soll. Aspekte wie Glaubensstärkung und Glaubensfragen sind noch sehr abstrakt und werden vermutlich auch deshalb nur zurückhaltend positiv beantwortet. Interessant ist, dass 42 Prozent bejahen, sich angemeldet zu haben, um selbst über den eigenen Glauben entscheiden zu können.
Das Interesse an Glaubensfragen ist im Vergleich zu Lebensfragen relativ gering. 18 Prozent geben an, sie seien «an unserer Kirchgemeinde» interessiert. 21 Prozent am «Ablauf und Sinn des Gottesdienstes» und 23 Prozent am «Abendmahl». Im Mittelpunkt stehen Lebensfragen. Für 69 Prozent sind Fragen zu «Gewalt und Kriminalität», für 72 Prozent der «Sinn des Lebens» im Zentrum des Interesses.
In der Tat: das Gewicht der Glaubensfragen erscheint relativ gering; dies hängt sicherlich zum einen mit dem Traditionsabbruch in vielen Familien zusammen, aber natürlich auch mit der stark individuellen lebensweltlichen Orientierung der Jugendlichen in diesem Alter überhaupt. Stellen Sie sich vor, Sie fragen nach Interesse an Politik, Parteien, Wahlen, Parteiprogrammen. Da dürften die Zahlen ähnlich ausfallen.
Auffallend: 33 Prozent sagen, sie interessieren sich für Jesus. 50 Prozent für andere Religionen und erstaunlicherweise auch 54 Prozent für die Taufe. Wie erklären Sie sich das?
Das Interesse an «Jesus Christus» ist spannend und interpretationsbedürftig. Vielleicht gibt es eine neue Konjunktur von religiösen und revolutionären Personen. Veilleicht haben religiöse oder revolutionäre Personen nach wie vor Hochkonjunktur – man denke an den Dalai Lama oder an Che-Guevara –, wovon auch «Jesus Christus» positiv mit betroffen sein könnte. Das Interesse an der Taufe scheint mir klarer zu sein: Es hat viel mit einer hochgradig individuellen Wahrnehmung der eigenen Person und vielleicht auch mit einer Art Sicherheitsbedürfnis zu tun.
Befragt zu den Erfahrungen nach Ablauf des einjährigen Konfirmationsunterrichts, geben lediglich 29 Prozent an, dass sie «im Glauben an Gott gestärkt» wurden. Immerhin 44 Prozent meinen «mehr über Gott und Glauben erfahren zu haben». Am wichtigsten waren «das grosse Familienfest» und «die gute Gemeinschaft in der Konfirmandengruppe». Sind damit die Ziele der Konfirmandenzeit erreicht?
Hier beginnen die Unsicherheiten in der Interpretation. Dies macht deutlich, dass eine solche empirische Studie nach Deutung und gleichsam einer praktisch-theologischen Hermeneutik verlangt. Mich hat ernüchtert, dass sich so wenige grosse positive Effekte zeigen. Man muss sich aber auch fragen, ob die Ergebnisse ohne das Konfirmandenjahr nicht noch schlechter ausgefallen wären.
Immerhin ist angesichts der Entwicklungsdynamik in diesem Alter positiv zu konstatieren, dass es nicht zu massiven Abfällen gekommen ist. Denkbar ist also durchaus, dass die Konf-Zeit stabilisierende Funktion hat. Was es bräuchte, wäre eine Langzeitstudie: Denn die Hoffnung der Verantwortlichen ist doch, dass die Konf-Zeit «on the long run» wieder positivere Effekte mit sich bringt – und sei es nur, dass sie später im Einzelfall zur Wahrnehmung kirchlicher Kausalhandlungen, etwa Taufe der Kinder oder kirchliche Trauung, führt oder den Austritt aus der Kirche verhindert.
Nach der Konfirmandenzeit geben 54 Prozent an, das Vaterunser «ziemlich genau auswendig zu können». Ein erstaunlich tiefer Wert.
Ja. Hier ist ein theologisches Defizit der Konfirmandenarbeit par excellence zu konstatieren. Es mag gute Gründe geben, 15/16-Jährige nichts mehr oder nur sehr wenig auswendig lernen zu lassen. Wenn man allerdings sieht, was sie etwa alles an Liedtexten auswendig können, wie sie sich in ihren digitalen Textwelten bewegen und auch, was sie in der Schule lernen müssen, frage ich, ob man sich hier als Kirche nicht unter Wert verkauft.
Die Einstellungen zum Glauben verändern sich während der Konfirmandenzeit kaum. Wer vorher glaubt (30 Prozent), die Welt sei von Gott erschaffen oder es gäbe ein Leben nach dem Tod (50 und 53 Prozent), tut das auch nachher. Was bleibt hängen?
Um es auf eine mediale Kurzform zu bringen: Vor allem das, was als persönlich bedeutsam erlebt wird.
Was passiert mit den Ergebnissen? Wie fliessen Sie in den Konfirmandenunterricht ein?
Nun, sie fliessen schon einmal so in die weitere Arbeit ein, dass ich dafür plädiere, nicht mehr von Konfirmandenunterricht, sondern von Konfirmandenarbeit zu sprechen. Dies soll heissen: Die alte, katechetisch unterweisende, lehrende Art und Weise des Konfirmandenunterrichts hat sich überlebt, sowohl faktisch bei den Jugendlichen und Mitarbeitenden als auch aus religionspädagogischen Gründen. Insofern bringt der Begriff Konfirmandenarbeit stärker Aspekte der ganzheitlichen Bildung, der Partizipation, der intensiven gemeinsamen Gestaltung der Konfirmandenzeit bis hin zur gemeinsamen Projektgestaltung zum Ausdruck.
Klar ist, dass die konkrete theologische Arbeit auch Arbeit am Glauben- und an Praxiswissen umfassen muss. Konfirmanden müssen sich biblische und theologische Inhalte erarbeiten. Sie sollen erfahren, dass es zu ihrer Identität als mündige reformierte Christen gehört, darüber Bescheid zu wissen. Mündigkeit setzt Kenntnis und eigenständigen Umgang mit diesen Kenntnissen voraus. Darunter darf sich die kirchliche Praxis nicht verkaufen.