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Cyanobakterien gehören zu den ältesten Lebensformen auf der Erde. Als sie vor rund 2,5 Milliarden Jahren erstmals Sonnenlicht zur Energieproduktion nutzten, war dies eine geniale Neuerung – allerdings mit ungeahnten Nebenwirkungen. Denn dabei entstand als Abfallprodukt Sauerstoff, welcher lebensnotwendige Stoffwechselprozesse wie die Stickstofffixierung behindert.
Die Trennung der beiden Prozesse – der Energiegewinnung durch Sonnenlicht, also der Photosynthese, und der Stickstofffixierung – war die logische Folge. Weshalb dabei erstmals Mehrzeller entstanden sind, wie gross diese Mehrzeller werden oder weshalb einige Cyanobakterien sich sozial verhalten, versucht Valentina Rossetti, eine junge Doktorandin am Zoologischen Institut, mit Hilfe von mathematischen Modellen zu berechnen.
Einzellige Cyanobakterien haben einen Tag-/Nachtrhythmus, wobei die Photosynthese jeweils tagsüber, die Stickstofffixierung nachts stattfindet. Damit die Stickstofffixierung auch tagsüber möglich ist, braucht es eine räumliche Trennung der beiden Prozesse. Diesen Weg haben mehrzellige Cyanobakterien gewählt und gehören damit zu den ersten mehrzelligen Organismen der Geschichte. Einige bilden spezialisierte Zellen, sogenannte Heterocysten, in welchen Stickstofffixierung stattfindet. Angeordnet in regelmässigen Abständen, versorgen sie die umliegenden Zellen mit Stickstoff für die Proteinherstellung.
Heterocysten sind endgültig differenziert und können sich, ähnlich wie zum Beispiel unsere Herzmuskelzellen, nicht mehr teilen. Aus der Sicht eines modernen Mehrzellers scheint diese Arbeitsteilung und die daraus folgende Konsequenz, dass nicht mehr alle Zellen ihre Gene an die Nachkommen weiter geben, unspektakulär. Doch setzt diese Aufteilung eine echte Kooperation voraus, da die Heterocysten zum Wohl des gesamten Organismus auf die eigene Vermehrung verzichten. «Der Übergang vom Einzeller zum Mehrzeller und der Verzicht einzelner Zellen, ihre Gene weiterzugeben, ist ein ganz wichtiger Schritt in der Evolution» erklärt Valentina Rossetti.
Mit ihrem mathematischen Modell konnte die Doktorandin berechnen, weshalb die räumliche Trennung der beiden Prozesse nur im Mehrzeller, nicht aber in einem losen Verband, in einer Gruppe von Zellen, funktioniert. «Die Betrüger sind das Problem», lautet die überraschende Antwort. Denn wenn sich Zellen in einem losen Verband aufopfern und die Stickstofffixierung übernehmen, profitieren vor allem Betrüger. Diese können sich ungehemmt vermehren, ohne dass deren Nachkommen je zu Stickstoff-Fixierern werden. So entstehen im Verhältnis weniger Heterocysten, verfügbarer Stickstoff wird rasch knapp und die gesamte Gruppe stirbt.
In einem weiteren Modell möchte Frau Rossetti untersuchen, wie gross ein Mehrzeller idealerweise ist. Dazu sammelt sie Faktoren, wie zum Beispiel Nährstoffmenge oder Licht, welche das Wachstum beeinflussen. Wenn sie anschliessend diese Variabeln in Differentialgleichungen richtig verknüpft, kann sie damit berechnen, wie lang Cyanobakterien werden sollten.
Ihre mathematischen Voraussagen will sie in den Laborexperimenten ihrer Kolleginnen aus der Biologie überprüfen. Die Zusammenarbeit zwischen der Mathematikerin und Biologinnen und Biologen klappt heute, nachdem die Vertreter der beiden Disziplinen je ihren Fachjargon angepasst haben, sehr gut. «Ich musste vor allem lernen, dass Nahrung nicht einfach nur eine Variable ist!», lacht Valentina.
Etwas komplizierter ist ihr nächstes Projekt. Dabei will sie das soziale Verhalten von Cyanobakterien untersuchen. Mit Hilfe der Spieltheorie will sie herausfinden, wie die Kooperation zwischen den Bakterien zustande kam und weshalb sich einige Zellen zum Wohl der Gemeinschaft aufopfern. Sie hofft, dass sie dank der Unterstützung des Forschungskredites nun genügend Zeit hat, all ihre Ideen umzusetzen.
Mit dem aktuellen Darwinjahr ist ihr Forschungsgebiet plötzlich von grossem öffentlichem Interesse. Ihre Arbeit sei aber nicht nur für das bessere Verständnis der Evolution wichtig, sie habe auch einen wichtigen Bezug zur Medizin. «Eine Krebszelle ist eigentlich nichts anderes als ein grosser ‚Betrüger’, welcher sich egoistisch auf Kosten des gesamten Organismus vermehrt», meint Frau Rossetti. Ihre Berechnungen könnten zeigen, wie die Kooperation zwischen den Zellen verloren gehe. Doch spürt man, dass die direkte Anwendung ihrer Arbeit nicht im Vordergrund steht. Viel lieber spricht sie über die Entwicklung ihres neuesten komplexen Modells oder die Möglichkeiten der Spieltheorie.
Und weshalb arbeitet sie als Mathematikerin in der Biologie? «Hier kann ich die Theorie am praktischen Beispiel testen und meine abstrakten Modelle im Experiment überprüfen. Das ist doch ideal.»