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Darwin-Jahr 2009

Knöcherne Zeitzeugen

Embryologie und Paläontologie existierten bereits zu Darwins Zeiten. Der Zoologe und Paläobiologe Marcelo Sánchez hat die beiden Disziplinen verbunden und erforscht so die Evolution von Landwirbeltieren.
Susanne Haller-Brem
Eingefärbte Skelette von Schilkröten liefern Hinweise auf die Evolution.

Marcelo Sánchez hat sich schon als Kind für die Vielfalt von Pflanzen und Tieren interessiert und mit Begeisterung Bücher über berühmte Naturforscher gelesen. Besonders die Forschungsreisen von Charles Darwin und Alexander von Humboldt faszinierten ihn. «Für mich waren das Helden aus einer anderen Zeit und ich fand ihre Expeditionen und Entdeckungen unglaublich spannend», erzählt der gebürtige Argentinier, der heute Assistenzprofessor am Paläontologischen Institut und Museum der Universität Zürich ist.

Zusammen mit seinem Team untersucht Sánchez Entwicklungs- und Evolutionsprozesse von Landwirbeltieren, so genannten Tetrapoden. Der Paläobiologe interessiert sich insbesondere für Evolutionsvorgänge, die über die Artgrenze hinaus stattfinden – in der Fachsprache Makroevolution genannt. «Wir möchten verstehen, wie morphologische Neubildungen, beispielsweise der Panzer bei Schildkröten oder das Mittelohr bei Säugetieren, entstanden sind», erklärt Sánchez.

Während einige seiner Kollegen an der Universität Experimente machen, um Entwicklungs- und Evolutionsprozesse zu erforschen, untersucht er Experimente, die die Natur selbst im Laufe der Evolution bereits durchgeführt hat.

Darwins Ansatz weiterentwickelt

Sánchez hat dazu den vergleichenden Ansatz, mit dem schon Darwin arbeitete, weiterentwickelt. Im Fokus der Forschung steht das Skelett. Dies aus zwei Gründen: Einerseits ist die Skelettbildung ein fundamentaler Prozess für die Anatomie der Landwirbeltiere; andererseits sind versteinerte Knochen, Fossilien also, die häufigsten Zeugen von vergangenem Leben. Federn oder Haare bleiben im Gegensatz dazu sehr selten über Jahrmillionen erhalten.

Paläontologen verfolgen die Entwicklung von  Lebensformen in geologischen Zeiträumen, das heisst in Millionen von Jahren. «Der englische Ausdruck ‹deep time› beschreibt dies perfekt», sagt Sánchez. Dank der Paläontologie hat man überhaupt einen Eindruck von der Vielfalt des bisherigen Lebens erhalten, denn 99 Prozent der Arten, die je existierten, sind inzwischen ausgestorben.

Auch in der Embryologie wird die biologische Entwicklung erforscht – hier untersuchen die Wissenschaftler die Prozesse, die zwischen der befruchteten Eizelle und dem ausgewachsenen Organismus stattfinden. «Versteht man die Ontogenese, das heisst den Lebenszyklus eines Organismus, kann man auch Rückschlüsse auf dessen Evolution ziehen», erklärt Marcelo Sánchez.

Indizien aus der Ontogenese

Ein Aha-Erlebnis hatte Sánchez während seiner Dissertationszeit in den USA: Damals zeigte ihm seine Professorin Säugetier-Embryonen mit Kopfstrukturen, die in mancher Hinsicht denjenigen von Reptilien und fossilen Ursäugetieren ähnelten. «Zwar hatte ich schon damals davon gelesen, aber dies mit eigenen Augen zu sehen, war eindrücklich und hat meine weitere Forschungsarbeit geprägt», meint der Forscher.

Die Entwicklung des Einzellebewesens ist zwar nicht die «kurze Wiederholung seiner Stammesgeschichte», wie manchmal behauptet wird. Trotzdem liefert die Ontogenese den Entwicklungsbiologen wesentliche Indizien, um den Ursprung neuer Strukturen wie etwa des Panzers von Schildkröten verstehen zu können.

Wie kam die Schildkröte zum Panzer?

Das charakteristische Merkmal der Schildkröten ist ihr harter Knochenpanzer. Bis heute ist unter Evolutionsbiologen umstritten, wie die Tiere zu diesem praktischen Schutz gekommen sind. Neuere genetische und morphologische Untersuchungen haben zudem die bisher angenommene Stammesgeschichte ins Wanken gebracht.

Dass diese aber ausserordentlich erfolgreich verlief, ist unbestritten, denn schliesslich gibt es Schildkröten seit rund 220 Millionen Jahren. Bei Grabungen in Süd- und Nordamerika, Europa und Afrika haben Marcelo Sánchez und sein Team zahlreiche Panzerfragmente längst ausgestorbener Arten gefunden. Die versteinerten Knochenfunde wurden dann im Labor in Zürich mit histologischen Dünnschnitten untersucht und mit Panzern von heute lebenden Schildkröten verglichen.

Die Histologie von fossilen Knochen ist ein indirekter Weg, etwas über die Ontogenese von ausgestorbenen Arten zu erfahren. Schildkrötenpanzer haben gemäss Sánchez eine grosse Vielfalt. So ist zum Beispiel der Panzer von heutigen Landschildkröten viel massiver als jener von wasserlebenden Arten. Bei letzteren ist der Panzer mit zahlreichen Hohlräumen durchzogen. Eine solche Leichtbauweise verleiht Auftrieb und ist ein schönes Beispiel für die Anpassung an die Umwelt.

Hinweise auf Evolution

Obwohl die Arbeitsgruppe von Marcelo Sánchez hauptsächlich am Erscheinungsbild der Lebewesen– das heisst am Phänotyp – interessiert ist, werden auch Markersubstanzen studiert, die Auskunft über den Knochenaufbau und -abbau geben. Denn um die Evolution zu verstehen, braucht es sowohl morphologische wie auch molekulare Daten.

Weiterführende Informationen

Links

Den vollständigen Artikel von Susanne Haller-Brem lesen Sie im unimagazin 1/09