Navigation auf uzh.ch
Eric Kandel hängte gerade die Wäsche auf, als das Telefon läutete. Seine Forschung werde finanziell unterstützt, teilte ihm ein Geldgeber mit – unter anderem, weil man davon ausgehe, dass er eines Tages den Nobelpreis erhalten werde. «Hoffentlich dauert es noch lange, bis das passiert», meinte seine Frau lakonisch, als er freudig zur Wäscheleine zurückkehrte. Sie befürchtete, dass sein Forscherdrang nach einem Nobelpreis nachlassen könnte.
So kam es nicht. Zehn Jahre später, im Jahre 2000, erhielt Eric Kandel im Alter von 71 Jahren den Medizin-Nobelpreis für seine Forschung zur Signalübertragung im Nervensystem. Die Befürchtungen seiner Frau waren unbegründet, wie Kandel anlässlich der Preisverleihung der Hertie-Stiftung am Dienstagabend an der Universität Zürich bewies. Eloquent und humorvoll berichtete der bald 80-Jährige über seine derzeitige Forschung zu Schizophrenie an der Columbia University in New York.
Dass ältere, talentierte Wissenschaftler über das offizielle Pensionsalter hinaus forschen können, sei in den USA gang und gäbe, in Europa hingegen ein Problem, wurde an der Veranstaltung mehrfach betont. Die Hertie-Stiftung will dies ändern. Zum vierten Mal vergab sie am Dienstag die Senior-Forschungsprofessur für Neurowissenschaften.
Mit dem Preisträger Adriano Fontana, Professor für Klinische Immunologie an der Universität Zürich, wird das Modell der Senior-Professur erstmals in die Schweiz gebracht.
Der 63-jährige Fontana wird die Leitung der Abteilung für Klinische Immunologie am Universitätsspital Zürich dank der Senior-Forschungsprofessur demnächst abgeben und sich – entlastet von administrativen Aufgaben – in den kommenden Jahren auf die Forschung konzentrieren. Die Stiftungsprofessur ist mit 1 Million Euro dotiert. Bei einer positiven Evaluation erlaubt sie den Preisträgern die Forschung bis zu fünf Jahre über die Pensionsgrenze hinaus.
Adriano Fontana wird mit der Senior-Forschungsprofessur für sein Lebenswerk ausgezeichnet – die Erforschung und Behandlung von entzündlichen Erkrankungen des Gehirns. Seit 30 Jahren untersucht Fontana die Zusammenhänge zwischen Immun- und Nervensystem (Artikel UZH News). Er gehört zu den 100 weltweit am häufigsten zitierten Immunologen.
Dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über das offizielle Pensionsalter hinaus forschen möchten, diesen Wunsch bekommt auch Andreas Fischer, Rektor der Universität Zürich, immer wieder zu hören. Ihn zu erfüllen, sei nicht einfach, da die Anzahl der Professuren begrenzt sei und auch der Nachwuchs seine Chance haben soll. «Die Senior-Forschungsprofessur der Hertie-Stiftung ist eine kreative Lösung des Problems», so Fischer.
Es handelt sich in der Tat um eine Win-win-Situation für Jung und Alt: Der bisherige Lehrstuhl wird für eine Neubesetzung frei, das Potenzial der Forschers bleibt der Universität aber durch die zusätzliche Seniorprofessur erhalten. «Wir hoffen, der Forschungslandschaft mit diesem Modell einen Impuls zu geben», sagte Michael Endres als Vorsitzender der Hertie-Stiftung.
Erfreulicherweise sei das Modell der Senior-Forschungsprofessur von den Universitäten Heidelberg und Würzburg bereits in ähnlicher Form aufgenommen worden. Gross sei auch der Andrang von jungen Forschenden, die bei Senior-Professoren tätig sein wollen. Kein Wunder, haben diese doch befreit von administrativen Aufgaben mehr Zeit, sich um den Nachwuchs zu kümmern.
Die Hertie-Stiftung unterstützt den Forschungs-Nachwuchs nicht nur indirekt über die Senior-Professur. Erstmals wurde am Dienstag der europaweit ausgeschriebene «Eric Kandel Young Neuroscientist Prize» verliehen. Simon E. Fisher von der University of Oxford durfte ihn aus der Hand von Nobelpreisträger Eric Kandel persönlich entgegennehmen. Fisher wurde für seine Verdienste geehrt, die genetischen Grundlagen der menschlichen Sprache aufzudecken.
Dem bald 80-jährigen Nobelpreisträger stand die Forschungs-Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Sollte eine Förderung durch eine Senior-Professur somit nicht auch über das Alter von 70 Jahren hinaus möglich sein? Für Professor Otmar D. Wiestler, Jury-Mitglied der Senior-Forschungsprofessur, durchaus überlegenswert: «Vielleicht lässt sich gemeinsam mit den Universitäten eine Lösung finden, wenn ein Senior-Forschungsprofessor mit 70 Jahren immer noch exzellent ist.»