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Das Kinder- und Jugendbuch im Jahre 2009 ist auch eine Hör-CD, ein Film oder ein Computergame. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Ingrid Tomkowiak sieht diesen «cross-over-Medienverbund» als Chance, Kindern und Jugendlichen Geschichten näher zu bringen: «Über das Buch hinaus entstehen neue, kreative und interaktive Möglichkeiten. Es wird gebloggt, gemailt und wild drauflos gechattet».
Tomkowiak ist Leiterin der Abteilung Populäre Literaturen und Medien am Institut für Populäre Kulturen der Universität Zürich. Seit 1. September 2009 hat sie zudem die Forschungsleitung des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien inne.
Zwei Tage lang diskutierten am vergangen Wochenende an der Universität Zürich Kultur- und Literaturwissenschaftler aus der Skandinavistik und Germanistik mit Vertreterinnen und Vertretern der Publizistik- und der Filmwissenschaft über «Perspektiven der Kinder- und Jugendmedienforschung».
Der Kinder- und Jugendbuchmarkt boomt
Die zwölf Vorträge und Diskussionen haben gezeigt, dass das Buch keineswegs zum alten Eisen gehört. Im Gegenteil. Entgegen dem allgemeinen Trend verzeichnet der Kinder- und Jugendbuchmarkt allein im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren eine Zuwachsrate von jährlich zwei bis drei Prozent, wie Hans-Heino Ewers ausführte. Ewers ist Professor für Germanistik mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt.
Doch was sind überhaupt «Kinder- und Jugendbücher»? Für Ewers ist klar, dass vor allem die Verlage ein Interesse daran haben, die Grenzen zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur aufzuweichen. Dies sei besonders bei der boomenden Fantasy-Literatur (Harry Potter & Co.) gang und gäbe.
Doch sei dieses Phänomen der «Mehrfachadressierung» nicht neu. Erwachsene seien als Mitleser oder Vermittler und nicht zuletzt auch als hauptsächliche Käufer schon immer mitangesprochen gewesen. Neu sei jedoch, dass sie als eigenständige Lesergruppe auftreten und in einem «globalisierten Markt» auch so beworben würden. Kurz: Texte würden häufig «betriebswirtschaftlich überdehnt» mit dem Ziel, möglichst «all-age-adressiert» zu sein.
Gleichzeitig stellt Ewers gerade im Bereich der marktbeherrschenden Fantasy-Literatur eine Abkehr von kinderweltlichen Vorstellungen fest. «Es geht um die Errichtung neuer Weltordnungen, um die Rettung des Globus. Dagegen ist zum Beispiel ein Mutter-Tochterkonflikt chancenlos und wirkt banal.»
Ebenfalls moniert, wurde «der erschütternde Niedergang der deutschen Sprache, aber auch anderer Sprachen gegenüber dem Englischen. Harry Potter verstopft die Märkte», brachte es Ewers auf eine einfache Formel.
Vermehrt «kontextbezogen» forschen
Nicht in diesen kulturpessimistischen Kanon einstimmen mochte hingegen Ingrid Tomkowiak. Gerade die Potter-Autorin J. K. Rowling habe sich als lernfähig erwiesen und aktuelle Themen wie Gewaltkonflikte unter Jugendlichen in ihre Romane eingebaut. Global und in zahlreichen medialen Formen verbreitete Literatur nivelliere die Kultur nicht und fördere zahlreiche kommunikative Fertigkeiten. Wer sich professionell und wissenschaftlich mit Kinder- und Jugendbüchern beschäftige, müsse vermehrt «kontextbezogen» arbeiten. Will heissen, Kinder- und Jugendmedien als «kulturelle Phänomene» ihrer Zeit begreifen und analysieren.
Als Beispiel erwähnt Tomkowiak das Dissertationsprojekt von Aleta-Amirée von Holzen, Assistentin am Institut für Populäre Kulturen der Universität Zürich. Die These: Die jeweilige Konjunktur von maskierten Superhelden wie Zorro oder Batman mit ihren Doppelidentitäten ist Gradmesser und Abbild dafür, wie stark Identitätsfragen auch gesellschaftlich relevant sind.
Kinder- und Jugendmedienforschung lasse sich am besten interdisziplinär betreiben. Bei der Frage nach der Qualität biete sich etwa die Kooperation zwischen Literatur- und Publizistikwissenschaft an. Unbestritten ist immerhin soviel: Ohne eine gute Geschichte kein Publikum, weder für das Buch noch für die elektronischen Medien.