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Die Feldforschungen des Zoologen Lukas Keller auf Galapagos sind abenteuerlich. Nur vier der vielen Inseln des Archipels im Ostpazifik sind heute bewohnt. Doch die Forschung findet auf den anderen, unbewohnten und unwirtlichen statt, wo es nicht ein mal einen Anlegesteg gibt: Die letzten Meter vom Boot bis ans Ufer müssen der Zoologie-Professor und seine Doktorierenden, die ihn begleiten, jeweils schwimmend zurücklegen, das Gepäck und eine riesige Kanne mit flüssigem Stickstoff im Wasser neben sich her ziehend. In dieser Kanne wird das Blutplasma von gefangenen Vögeln tiefgekühlt, damit es später im Zürcher Labor in Ruhe untersucht werden kann.
Lukas Kellers jüngstes Forschungsobjekt sind die Spottdrosseln auf Champion und Gardener, zwei winzigen Inselchen, nicht grösser als ein paar Fussballfelder. Die Drosselpopulationen auf diesen beiden Galapagosinseln sind bedroht, an ihrem zahlenmässigen Tiefpunkt lebten auf Champion gerade noch 20 Tiere, auf Gardener rund 100. Inzwischen haben sich die Populationen zwar wieder bis auf über 40 respektive 150 Exemplare erholt, aber immer noch sind das so wenige, dass die Inzucht für die Vögel ein gravierendes Problem darstellt.
Nicht einmal zwischen den beiden Inselchen kommt es zur «Blutauffrischung», obwohl die Eilande nahe beieinander liegen: «Spottdrosseln sind flugfaul», erklärt Lukas Keller. Das könne man bei Vogelarten auf entlegenen Inseln oft beobachten, manche Arten verlieren ihre Flugfähigkeit im Laufe der Zeit sogar ganz – denn wohin sollten sie auch fliegen? Die Wahrscheinlichkeit, irgendwo in den Weiten des Meeres zu versinken, wäre viel zu gross.
Wegen der Inzucht laufen die Spottdrosseln auf Galapagos nun allerdings Gefahr auszusterben, selbst wenn sie gar nie in die Weiten des Meeres hinausfliegen. Denn die Vögel werden durch Krankheiten bedroht wie zum Beispiel die Vogelmalaria, die vor kurzem auch auf die Galapagosinseln eingeschleppt wurde. Ge schwächt durch die Inzucht, könnten die Spottdrosseln für diese Krankheiten anfälliger sein. Ob und wie stark dies tatsächlich der Fall ist, wollen Keller und seine Doktorandin Paquita Hoeck genauer untersuchen.
Das Vorhaben ist knifflig und ohne die Hilfe von Charles Darwin würde man heute etwas ratlos davor stehen. Mehr als 170 Jahre sind es her, seit der berühmte Naturforscher die Ufer von Floreana betreten hat. Unter all den Pflanzen und Vögeln, die Darwin dort sammelte, befanden sich jedenfalls auch zwei Spottdrosseln.
Heute sind diese beiden Vögel berühmt. In der grossen Darwin-Jubiläumsausstellung, die das Naturhistorische Museum von London gegenwärtig zeigt, liegen sie prominent in einer Vitrine gleich am Eingang. Diese beiden braunweiss gefiederten Tiere haben einen der grössten Geistesblitze unserer Wissenschaftsgeschichte ausgelöst: die Idee nämlich, dass nicht Gott von Anfang an alles genau so geschaffen hat, wie es heute auf der Erde lebt, sondern die Evolution mit ihrem langsamen Wirken.
Ein kleiner Eintrag in Darwins Reise-Notizbuch bezeugt, wie wichtig die beiden Spottdrosseln für ihn waren. Am Ende seines fünfwöchigen Galapagosaufenthalts hielt er darin fest, wie ähnlich und doch unterschiedlich die beiden Vögel aussahen. Auch fiel ihm auf, wie nah verwandt sie mit jenen Exemplaren sein mussten, die er auf dem südamerikanischen Festland gesehen hatte. Nach seinem Eintrag zu schliessen, muss es dem 26-Jährigen da zum ersten Mal gedämmert haben: Konnte hier so etwas wie Evolution am Werk sein?
Bis heute werden allerdings nicht die Drosseln, sondern immer wieder die äusserst vielfältig variierten Finkenarten von Galapagos als Darwins Kronzeugen der Evolutionsidee angeführt. Sie wurden sogar nach ihm benannt: «Darwins Finken». Doch Darwin selbst hatte gar nicht gemerkt, dass diese ganz unterschiedlich aussehenden Tiere zusammengehörten. Er dachte, unter all den kleinen Vögeln, die da seine Schiffskajüte füllten, habe er wohl auch ein paar Laubsänger und andere Arten eingepackt.
Erst nach der Rückkehr in England klärte der Ornithologe John Gould ihn auf, dass es lauter Finken waren. Jetzt bereute Darwin natürlich, nicht notiert zu haben, welcher Fink von welcher Insel stammte. So konnte er auch nicht studieren, wie genau da der evolutionäre Wandel zwischen den Arten hätte am Werk sein können – die 14 Finkenarten von Galapagos wurden daher erst für spätere Evolutionsforscher im Gefolge Darwins spektakulär.
Bei den beiden etwas grösseren Drosseln hingegen hat Darwin den Fundort vermerkt: Floreana. Das macht die zwei Vögel bis heute äusserst wertvoll, wenn es darum geht, ihre Nachfahren auf Floreana wieder anzusiedeln.
Für Lukas Keller bleibt die schwierige Frage, wie viele Vögel von welchem der beiden Inselchen genommen werden sollen. Von den 40 Tieren der Champion-Populatio könne man natürlich weniger wegnehmen als von den 150 Tieren auf Gardener, erklärt der Zoologieprofessor. Ausserdem müssen die Vögel so oder so zuerst gezüchtet werden, «denn um eine gesunde neue Population zu erreichen, braucht es Hunderte von Tieren, nicht nur Dutzende.»