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Tiefbohrung zur Klimageschichte

Dem Wehntal auf den Grund gehen

Eine Tiefbohrung bei Niederweningen soll Aufschluss geben über die Klimageschichte des Mittellandes in den vergangenen 200'000 Jahren. Heinz Furrer vom Paläontologischen Museum der Universität Zürich leitet dieses für die Schweiz einzigartige Projekt.
Theo von Däniken
Paläontologe Heinz Furrer beobachtet gespannt, wie der Lehmpfopfen aus dem Bohrmantel gepresst wird.

Langsam wird der Lehmpfropfen aus dem Bohrmantel gepresst. Zentimeter für Zentimeter schiebt sich die graue Masse aus dem Metallrohr, interessiert beobachtet vom Paläontologen Heinz Furrer und von Rudolf Hauser, Vizepräsident der Stiftung Mammutmuseum Niederweningen. Nach etwa fünfzig Zentimetern trennen die beiden Bohrspezialisten Daniel und Rolf Amrein den Bohrkern mit einem Draht sorgfältig ab und legen den Lehmzylinder in eine mit Plastikfolie ausgeschlagene Kiste.

Was für den Laien wie ein gewöhnlicher Klumpen Lehm aussieht, ist für Heinz Furrer, Kurator des Paläontologischen Museums der Universität Zürich, von grösstem Interesse. Die Probe stammt nämlich aus einer Tiefe von 55 Metern; die Ablagerungen, aus denen sie besteht, sanken vor mehr als 170'000 Jahren auf den Grund des damaligen Gletschersees im Wehntal.

Bohrmeister Daniel Amrein und Heinz Furrer werfen einen ersten Blick auf die Struktur des Bohrkerns.

Ungestörtes Klimaarchiv

Die Bohrung in Niederweningen wurde vom Mammutmuseum in Niederweningen initiiert und finanziert, wie Rudolf Hauser erzählt. Das Museum, 2005 aufgrund der spektakulären Mammutfunde in den beiden Jahren zuvor gegründet, will die Klimageschichte des Wehntales bis vor die Zeit der Mammuts erschliessen. Dazu will Hauser dem Wehntal auf den Grund gehen und das im wörtlichen Sinne. Bis in rund 100 Meter Tiefe soll die Bohrung reichen, denn so dick dürfte die Schicht aus tonigen und torfigen Ablagerungen sein, die sich in den vergangenen 200'000 Jahren auf dem Molassefelsen angesammelt hat.

Symbiose zwischen publikumswirksamer Präsenation und Forschung: Heinz Furrer und Rudolf Hauser im Mammutmuseum Niederweningen, das die Bohrung initiierte.

Genau diese dicke Sedimentschicht macht den Standort Niederweningen so interessant für die Forscher. Denn an den meisten Orten im Alpenvorland wurden Sedimente dieses Zeitabschnittes durch die Gletschervorstösse der letzten Eiszeit wieder erodiert oder gestört. «Die Ablagerungen hier liegen ausserhalb der Endmoräne des letzten maximalen Gletschervorstosses in der Würm-Eiszeit, vor rund 24'000 Jahren», erklärt Furrer. Der Boden unter Niederweningen kann also Aufschluss geben über die Klimageschichte nördlich der Alpen vor der letzten grossen Vergletscherung.

Spurensuche im grauen Lehm

Mit einem Spachtel schabt Furrer etwas Ton vom Bohrkern. Sein geübtes Auge erkennt eine feine Schichtung. Ca. 2-3 Millimeter dicke Lagen von hellerem und dunklerem Ton wechseln sich ab. «Das sind wahrscheinlich jahreszeitliche Wechsel bei den Ablagerungen», erklärt Furrer. «Die helleren Schichten stammen aus den Zeiten der Schneeschmelze, wenn viel Wasser Schlamm in den See spülte, im Herbst und Winter lagerte sich weniger und eher dunkles Material ab.»

Der geübte Blick erkennt eine feine Schichtung im Lehm.

Verschiedene Analysemethoden

Furrer will die aus dem Boden geholten Proben mittels verschiedener Methoden analysieren lassen. Zunächst werden die Proben an der Universität Bern mittels der so genannten Luminiszenz-Analyse datiert. Danach sollen genaue sedimentologische Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem Wasserforschungsinstitut EAWAG und den Erdwissenschaften der ETH Zürich Aufschluss über die Zusammensetzung der Ablagerungen geben. Daraus lässt sich sagen, zu welchen Zeiten das Wehntal durch einen See gefüllt oder verlandet war. Kommt etwa organisches Material und Kalk vor, so lässt dies auf das Vorhandensein von Algen schliessen. Auch gibt die Feinheit der Ablagerungen Aufschluss darüber, ob der Gletscher weiter oder weniger weit entfernt war.

Schliesslich sollen die im Bohrprofil vorhandenen Pollen analysiert werden. Der fossile Blütenstaub erlaubt einerseits Rückschlüsse auf das damals herrschende Klima. Andererseits kann man Schlüsse auf das Alter der Schicht ziehen, denn aus anderen Studien in Europa ist bekannt, welche Pflanzen in welchen Zeiträumen vorkamen.

Bohrmeister Daniel Amrein und sein Bruder Rolf haben noch gut 50 Meter Boden vor sich.

All diese Informationen sollen eine detaillierte Klimageschichte des Alpenvorlandes ermöglichen, wie Furrer erklärt. «Zwar kennen wir die globale Klimageschichte, etwa aus Tiefbohrungen im Atlantik. Doch es gibt Inkonsistenzen, die wir hoffentlich mit den hier gefundenen Daten ausräumen können.» So ist etwa umstritten, ob und wie weit vor etwa 160'000 Jahren die Gletscher bis ins Mittelland vorstiessen. Die Daten aus dem Wehntal könnten Licht in diese Frage bringen.

Bohren, schneiden, fotografieren

Bis es soweit ist, steht jedoch noch viel Arbeit bevor. Nach zwei Wochen war die Bohrung in einer Tiefe von 55 Metern angelangt, nach drei Wochen auf 95 Metern und in der letzten Märzwoche sollte die mühsame Arbeit fertig werden. Die Bohrung ist aufwändig, denn die Bohrkerne müssen in Meterstücken aus dem Boden geholt werden. Für den Bohrmeister Daniel Amrein und seinen Bruder Rolf heisst dies jedes Mal, das Bohrgestänge neu zusammensetzen, den Bohrkopf absenken, bohren und dann das Gestänge Stück für Stück wieder abbauen, um den Bohrkopf samt Kern aus dem Bohrloch zurückzuholen.

Die Bohrkerne warten in einem Lagerhaus in Niederweningen gut verpackt und beschriftet auf ihre Auswertung.

Die Bohrkerne werden luftdicht eingepackt und in Kisten von einem Meter Länge in einer Lagerhalle in Niederwenigen zwischengelagert. Ab 1. April soll sie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Schweizerischen Nationalfonds genauer analysieren. Die Bohrkerne werden dazu längs aufgeschnitten und anschliessend fotografiert. Allein dies dürfte nach Schätzungen von Furrer zwei Monate in Anspruch nehmen, weitere vier bis fünf Monate dürfte die Datierung mittels der Luminiszenz dauern.