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Genau so wie die Funktion eines Computers auf dem Zusammenspiel vieler Schalter beruht, so erklärt man sich heute auch das Denken als konzertierte Aktion einiger Milliarden Synapsen. Als Kontaktstellen zweier sich berührender Nervenzellen sind sie gewissermassen Schalter, die den Fluss der Nervenimpulse regeln. Was passiert nun genau in unseren Nervenzellen, wenn wir lernen und geistig aktiv sind? Werden immer mehr Synapsen gebildet?
In zahlreichen Studien haben die Neurowissenschaftler in den vergangenen Jahren herausgefunden, dass beim Lernen die aus verknüpften Nervenzellen bestehenden Schaltkreise des Gehirns auf unterschiedliche Art und Weise verändert werden. Eine vor allem bei der langzeitigen Konsolidierung von Gelerntem gefundene Veränderung der Schaltkreise besteht tatsächlich in der Bildung von neuen Synapsen.
Jedoch führt die Synapsenbildung vermutlich nicht zu einer wesentlichen Zunahme der Gesamtzahl der Synapsen, da gleichzeitig andere, nicht mehr benötigte Synapsen abgebaut werden. Die nervösen Schaltkreise werden also durch Anlegen von neuen synaptischen Verknüpfungen und gleichzeitiges Aufheben bestehender Verknüpfungen verändert.
Peter Sonderegger und seine Mitarbeiter vom Biochemischen Institut fanden nun heraus, wie die elektrischen Signale der Nervenzellen in biochemische und zelluläre Prozesse umgewandelt werden, welche zur Bildung neuer Synapsen führen können. Der Vorgang der Synapsenbildung beginnt mit der Bildung von sogenannten Filopodien, die sich wie Fühler zu andern Synapsen ausstrecken. Bei Kontakt entstehen aus den Filopodien neue Synapsen, die jedoch bei Nicht-Gebrauch auch wieder «abgehängt» werden.
«Filopodien sprossen aus der Zelle heraus und wachsen bevorzugt auf eine präsynaptische Endigung zu. Und mit der einen oder andern etablieren sie dann eine zweite Synapsenverbindung», erklärt Peter Sonderegger die Dynamik des Geschehens. «Das wird auch synaptische Plastizität genannt.» Die Schaltkreise verändern sich, sie passen sich quasi den geistigen Anforderungen an. «Vermutlich ist dieser Mechanismus besonders wichtig für die Ausbildung und den Unterhalt von Langzeitgedächtnisleistungen», sagt Sonderegger.
Biochemisch gesehen sind dabei zwei wichtige Substanzen im Spiel. Das Protein-spaltende Enzym Neurotrypsin und das Protein Agrin. Schon vor einigen Jahren hatte Peter Sonderegger das Neurotrypsin entdeckt und vermutet, dass es bei Lern- und Gedächtnisprozessen eine wichtige Rolle spielt.
Menschen, denen das Protein Neurotrypsin auf Grund eines genetischen Defekts fehlt, haben zwar normale Organ- und Muskelfunktionen, sind aber geistig schwer behindert. Obwohl ihr Gehirn anatomisch normal aussieht, können diese Menschen weder sprechen noch lesen lernen oder einfache praktische Tätigkeiten ausüben. «Diese schwerwiegenden Ausfallerscheinungen zeigen die essentielle Rolle von Neurotrypsin für Lernen und Gedächtnis», erläutert der Biochemiker.
Heute weiss man auf Grund der Forschungsarbeiten im Sonderegger-Labor, wie Neurotrypsin funktioniert. Eine aktive Nervenzelle schüttet an den Synapsen Neurotransmitter und Neurotrypsin aus. Ausserhalb der Synapse spaltet Neurotrypsin das zwischen den Zellen vorkommende Protein Agrin in drei Fragmente. Eines davon reagiert mit den Dendriten benachbarter Nervenzellen und induziert die Ausbildung von Filopodien. Die Filopodien entwickeln sich, falls die neue Verknüpfung funktionell sinnvoll ist, zu einer reifen Synapse. So entstehen innerhalb weniger Stunden neue Nervenverbindungen.
«Lernen» auf der Ebene von Nervenzellen bedeutet, dass sich die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen verändern. Auf wiederholte Reize reagieren die Nervenbahnen, indem sie die Synapsen zwischen den beteiligten Nervenzellen verstärken, neue Synapsen bilden und/oder bestehende auflösen. Das kommt beim Erwachsenen dann vor, wenn bestimmte Funktionen des Gehirns besonders trainiert werden, zum Beispiel beim Erlernen einer neuen Sportart oder Sprache.