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Ein grösserer Kontrast ist kaum vorstellbar. Erst Bilder vom intakten Regenwald mit bis zu 80 Meter hohen Bäumen, die die oberste Kronenschicht des Urwaldes bilden – dann abgesägte Baumstümpfe und tiefe schlammige Schleifspuren, die vom Abtransport der Stämme zeugen. «Wie vielerorts in Südostasien wurde auch auf Borneo der Regenwald schonungslos abgeholzt», kommentiert Andrew Hector, Professor am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Zürich. Fast alle gefällten Bäume gehören zur Familie der Flügelfruchtgewächse, in der Fachsprache Dipterocarpaceae genannt. Natürliche Flügelfruchtgewächs-Wälder gehören zu den artenreichsten Landökosystemen Südostasiens, doch sie sind stark bedroht. Dies einerseits, weil die Baumriesen begehrtes Hartholz liefern und andererseits einen speziellen Lebenszyklus haben.
Wie bestimmte andere Baum-Familien bilden Flügelfruchtgewächs-Bäume nur ungefähr alle zehn Jahre grosse Mengen Samen. Man spricht dann von einem Mastjahr. Die Samen überdauern aber nicht im Boden wie bei Bäumen in unseren Breitengraden, sondern keimen in wenigen Tagen aus und verharren als Schösslinge im Schatten der Urwaldriesen. Dort können sie bis zu Jahrzehnten warten, bis eine Lücke im Blätterdach entsteht und sie selber zu Baumriesen heranwachsen können. «Der intensive Holzschlag verhindert die natürliche Regeneration der Flügelfruchtgewächse, weil die fruchttragenden Baumriesen entfernt werden und die schweren Holzernte-Fahrzeuge die Schösslinge zerstören», sagt Andrew Hector.
Der junge Ökologieprofessor leitet in Sabah, dem malaysischen Teil Borneos, eines der weltweit grössten Langzeitexperimente im Regenwald. Dabei arbeitet das Institut für Umweltwissenschaften der Universität Zürich mit europäischen und südostasiatischen Institutionen zusammen. Auf dem Versuchsgelände, das der staatlichen Sabah Foundation gehört, bilden Schlingpflanzen und Jungbäume ein unwegsames Dickicht. Die charakteristischen Flügelfruchtbäume, die natürlicherweise das Laubdach bilden würden, sind auch hier Anfang der 1980er-Jahre vollständig abgeholzt worden. «Mit dem Sabah-Biodiversitätsexperiment wollen wir untersuchen, ob das Wiederaufforsten mit verschiedenen Baumarten tatsächlich erfolgreicher ist als wie bisher üblich mit einer Monokultur», erklärt Andrew Hector.
In dem auf 60 Jahre angelegten Experiment messen die Forscher regelmässig die produzierte Holzmenge, den aufgenommenen Kohlenstoff und andere ökologische Funktionen. Einheimische Förster wissen inzwischen, wie man den bedrohten Flügelfruchtgewächsen nachhelfen kann. In Regionen, wo es die Baumriesen noch gibt, sammeln sie nach einem Mastjahr Samen und ziehen diese in Baumschulen auf. Die Setzlinge werden dann in Streifen, die vom Unterholz befreit worden sind, in den Wald gepflanzt. Mit dieser Technik, dem so genannten «Enrichment- Planting», stocken sie den Wald gezielt für eine spätere Nutzung auf.
Auch die Zürcher Forscher pflanzten die Setzlinge auf diese Weise in den Wald, denn schliesslich soll der Langzeitversuch mit anderen Wiederaufforstungsprojekten in der Region vergleichbar sein. Inzwischen gibt es verschiedene Industrien und private Investoren, die das «Enrichment-Planting» in dieser Region finanziell unterstützen. Doch bei diesen Projekten steht der Naturschutzgedanke im Vordergrund, das Sammeln von wissenschaftliche Daten ist häufig nicht so wichtig. Dies soll sich nun mit dem Sabah-Biodiversitätsprojekt ändern. Damit das Experiment statistisch aussagekräftig wird, wurde das Areal in 124 gleich grosse Versuchsflächen eingeteilt. Jede dieser Flächen ist 200 Meter lang und 200 Meter breit. In Baumschulen wurden Setzlinge von 16 verschiedenen Arten von Flügelfruchtgewächsen angezogen.
Unter schwarzen Netzen, die die Dunkelheit des Urwaldbodens simulieren, warteten die Baumschösslinge, bis sie schliesslich in den Urwald gepflanzt wurden. Seit 2001 haben Forscher und Freiwillige auf jeder Versuchsparzelle mittlerweile rund 1300 Setzlinge platziert, insgesamt also mehr als 150 000 Jungbäume. Diese siedelten sie entweder in Monokulturen oder in verschiedenen Kombinationen von vier oder allen 16 Arten der Flügelfruchtgewächse an. Bis allerdings dieses Grossexperiment im Regenwald gesicherte Aussagen zulässt, werden noch Jahrzehnte vergehen und unzählige Doktoranden und Postdoktoranden Forschungsresultate für das gigantische Puzzle zusammentragen. Dabei werden sie in regelmässigen Abständen die gebildete Holzmasse und den fixierten Kohlenstoff der Flügelfruchtgewächs- Bäumen bestimmen. Dazu müssen die Pflanzen vermessen und Holzproben entnommen werden. Zudem möchten die Wissenschaftler die Ökologie der enorm vielfältigen Flügelfruchtgewächse besser erforschen und deren Einfluss auf Vögel, Säugetiere und Insekten bestimmen.
Der Ökologe Andrew Hector ist für das Langzeitexperiment im Regenwald von Borneo bestens qualifiziert. Vor seiner Zeit am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Zürich war er Koordinator eines EU-Projektes, das den Einfluss der Artenvielfalt bei europäischen Wiesengemeinschaften untersucht hat. Diese Ergebnisse hat Hector im Rahmen seiner Dissertation am Imperial College in London ausgewertet. «Ein zentrales Resultat war, dass der Verlust an Biodiversität generell mit einem Rückgang der Produktivität und Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme einhergeht», erzählt er. So waren beispielsweise Flächen mit weniger Arten stärker von Schädlingen befallen als artenreiche Areale. Um die Experimente aus acht europäischen Ländern auszuwerten, musste Hector neue theoretische Ansätze entwickeln, die nun auch im Sabah- Biodiversitätsprojekt angewendet werden.
Da einzelne Studien nur beschränkt aussagekräftig sind, plant Hector seine Forschung in ein Netzwerk ähnlicher Projekte einzubinden, bei denen Wälder in anderen Erdteilen unterschiedlich vielfältig aufgeforstet werden. In den letzten Jahren hat die verstärkte Nachfrage nach Biotreibstoffen den Druck auf die Regenwälder noch erhöht. Auch auf Borneo werden zunehmend bereits abgeholzte Wälder nicht wieder aufgeforstet, sondern in Ölpalmplantagen umgewandelt. «Eine gigantische Artenvielfalt wird dem schnellen Profit geopfert, obwohl wir bis heute nur wenig darüber wissen, welche Auswirkungen die schwindende Biodiversität hat», sagt Hector. Wie viel darf beispielsweise verloren gehen, bis ein Ökosystem seine Funktion nicht mehr erfüllen kann? Die meisten bisherigen Untersuchungen sind in Wiesengemeinschaften durchgeführt worden, doch zu hoch komplexen Systemen wie Regenwäldern existieren kaum Studien.
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch angesichts des Klimawandels relevant. Denn Regenwälder helfen den steigenden Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre zu senken. Doch leider sind im Kyoto-Protokoll bis jetzt keine derartigen Projekte für Waldwiederaufforstung vorgesehen. Andrew Hector hofft aber, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern wird.