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«Jede Art verschwindet früher oder später, das gehört zum Courant normal der Natur», sagt Heinz Furrer, Kurator des Paläontologischen Museums der Universität Zürich (UZH). Doch es gibt katastrophale Einschnitte in der Erdgeschichte, bei denen sich die Ereignisse zuspitzen und die Biodiversität insgesamt drastisch einbricht. «Nach solchen Krisenzeiten», so Furrer, «ist nichts mehr, wie es vorher war.»
Solche Krisen kamen in den vergangenen 600 Millionen Jahren immer wieder vor. In sieben Fällen spricht man von Massenaussterbe-Ereignissen. Die Ursachen sind komplex, eine Hauptrolle aber spielt meist vulkanischer CO2-Ausstoss mit anschliessender Versauerung des ozeanischen Oberflächenwassers. Das Ende der Dinosaurier markiert die letzte dieser globalen Mega-Katastrophen. Die gravierendste jedoch fand vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perm statt. Sie löschte schätzungsweise 95 Prozent aller Lebensformen für immer aus.
Eindrücklich führt einem die Ausstellung vor Augen, dass sich die Evolution nicht als lineares Kontinuum vollzieht. Vergleichsweise stabil verlaufende Abschnitte wechseln mit dramatischen Umbruchzeiten. Diese sind durch eine Doppeldynamik von Stress und Erholung gekennzeichnet: Nach dem grossen Artensterben schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus, es kommt zu einer explosionsartigen Produktion evolutionärer Neuheiten. Die Natur mischt in Krisenzeiten gewissermassen die Karten neu. Nie sind alle Lebensformen gleich stark vom Artenschwund betroffen. Immer gibt es auch Krisengewinner.
Nur eine Seeigel-Gattung überlebte
Massenaussterbe-Ereignisse haben also für die Evolution eine katalytische Funktion. Das heisst keineswegs, dass damit, wie es das Klischee will, immer ein «Entwicklungsfortschritt » einhergeht. Zwar verhelfen Katastrophen bestimmten Arten zum Erfolg – zugleich aber vernichten sie andere Lebensformen, die sonst vielleicht zur Entfaltung gekommen wären, für immer.
So kann der neue Artenreichtum, der in nachkatastrophischen Erholungsphasen entsteht, durchaus auch mit einer morphologischen Verarmung einhergehen, wie das Beispiel der Seeigel zeigt: Seeigel kamen vor dem endpermischen Massenaussterben in mannigfaltigen Gattungen vor, von denen nur eine einzige die Katastrophe überdauerte. Die Arten, die später wieder daraus hervorgingen, waren ebenfalls zahlreich – doch ihr Bauplan folgt bis heute dem Einheitsmuster der einen Gattung, die das Massensterben überlebt hatte.
In den Erholungsphasen nach den grossen Aussterbewellen vollzieht sich die Artenbildung jeweils nach einem wiederkehrenden Schema: Der Umweltstress und die Ausdünnung der Nahrungsnetze begünstigen zunächst opportunistische Allrounder und vereinfachte Organismen. Aus diesen entwickeln sich nach einiger Zeit wieder spezialisierte Lebensformen.
12 000 Arten verschwinden jährlich
Die Sonderausstellung «Massenaussterben und Evolution» lädt ein zu einer Zeitreise durch die wechselvolle Geschichte des Lebens. Zugleich bietet sie einen Überblick über das Wirken der Forschungsteams am Paläontologischen Institut der UZH.
Während sich Institutsdirektor Hugo Bucher und sein Team vorwiegend mit der Artenbildung nach der erwähnten endpermischen Katastrophe befassen, untersucht Christian Klug die ökologischen Rahmenbedingungen noch älterer Epochen. Er zeigt unter anderem, wie früheste Massenaussterbewellen – 500 bis 300 Millionen Jahre sind sie her – den Meeresbodenbewohnern schadeten und schwimmenden Organismen langfristig nützten.
Marcelo Sánchez schliesslich, der sich in seiner Forschung mit dem Vergleich fossiler und lebender Landwirbeltiere befasst, thematisiert in der Ausstellung das Massenaussterben, das sich in unserer Gegenwart abzeichnet: Schätzungsweise 12 000 Arten verschwinden jährlich. Stellvertretend für viele Tierarten, die in den letzten Jahrhunderten durch die Überpräsenz des Menschen verschwanden, sind eine Lebendrekonstruktion des Dodo von Mauritius sowie die Beinknochen des drei Meter hohen Elefantenvogels aus Madagaskar zu bewundern.