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Antibiotika-Nebenwirkung entschlüsselt

Wie Aminoglykoside aufs Gehör wirken

Aminoglykoside gehören zu den am meisten verbreiteten Antibiotika. Sie werden insbesondere bei schweren und lebensbedrohlichen Infektionen eingesetzt. Auch in der Behandlung der Tuberkulose spielen sie eine zunehmend wichtige Rolle.
Theo von Däniken

Aminoglykoside gehören zu den am meisten verbreiteten Antibiotika. Sie werden insbesondere bei schweren und lebensbedrohlichen Infektionen eingesetzt. Auch in der Behandlung der Tuberkulose spielen sie eine zunehmend wichtige Rolle.

Erik C. Böttger mit einem Strukturmodell des Bereichs des mitochondrialen Ribosoms, in dem die Antibiotika angreifen.

Als bekannte Nebenwirkung können Aminoglykoside jedoch das Gehör schädigen. Je nachdem, wie viel und wie lange das Antibiotikum verabreicht wird, reichen die Folgen vom kaum wahrnehmbaren Hörverlust im oberen Frequenzbereich bis zu vollständiger Taubheit. Das Problem ist nicht zu vernachlässigen: In gewissen Ländern, wie Spanien oder China, gehen bis zu 20 Prozent der Taubheit auf die Antibiotika-Nebenwirkungen zurück.

Irreversible Taubheit

Noch schwerer wiegen die Nebenwirkungen für Menschen, die eine Genmutation aufweisen, die mit der sogenannten mitochondrialen Taubheit einhergeht. Normaler-weise führt die entsprechende Genmutation früher oder später zu Hörschäden bzw. Hörverlust. Bei diesen Menschen lösen nun Aminoglykoside praktisch sofort und irreversibel eine völlige Taubheit aus.

Erik Böttger, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiolgie der Universität Zürich, befasst sich in erster Linie mit Ribosomen als Angriffs-Punkte für Antibiotika. Auf die mitochondriale Taubheit ist er in seiner Forschung gestossen, weil es eine der wenigen Krankheiten des Menschen ist, die mit dem Ribosom assoziiert ist. Die veränderten Gensequenzen sind im Ribosom des Mitochondriums, den Energie-Produzenten in den Zellen, lokalisiert.

Nicht mit herkömmlichen Methoden zu untersuchen

Genau an dieser Stelle im Ribosom docken nun auch die Aminoglykoside an. Ein Zusammenhang zwischen dem genetisch bedingten Hörverlust und der Antibiotika-Nebenwirkung liess sich also vermuten, konnte aber bisher nicht bewiesen werden. Denn mitochondriale Ribosomen können mit herkömmlichen Methoden der Genforschung nicht untersucht werden.

Der erste Schritt war deshalb die Herstellung eines geeigneten experimentellen Modells, an dem sich die Wirkungsweise untersuchen liess. Böttger, dessen Labor weltweit das einzige ist, das Ribosomen derart genetisch modifizieren kann, gelang es, diejenige Gensequenz des Mitochondriums in ein Bakterium einzubringen, an der Aminoglykoside andocken und an der auch die genetische Veränderung zu finden ist.

Mitochondrien statt Bakterien angegriffen

Anhand dieses Modells konnte Böttger nachweisen, dass die Genmutation die Translation, also die Umsetzung des Gen-Codes in Proteine, beeinträchtigt. Dieses so genannte «misreading» führt letztlich zum Absterben der Haarzellen im Hörorgan und damit zu den Hörschäden. Die gleiche Wirkung zeigten auch Aminoglykoside, die an die entsprechenden Stellen im Ribosom andocken.

Die Genmutation bewirkt aber auch, dass die betreffenden Ribosomen sehr viel anfälliger werden auf Aminoglykoside. «Dass bedeutet, dass das Antibiotikum in diesen Patienten nicht mehr genügend selektiv ist und zwischen Bakterium und menschlichen Zellen nur unzureichend unterscheiden kann», erklärt Böttger. Statt wie gewünscht das Bakterium anzugreifen, wirkt das Antibiotikum auch auf die menschlichen Mitochondrien.

Hinzu kommt, das sich die beiden Effekte gegenseitig verstärken: Aminoglykoside greifen die genetisch veränderten Ribosomen stärker an als unveränderte und erhöhen zudem das «misreading». Das erklärt die heftige Reaktion von Menschen mit mitochondrialer Taubheit auf Aminoglykoside.

Aminoglykoside ohne Nebenwirkungen

Die detaillierten Erkenntnisse über die Wirkungsweise sowohl der Genmutation, als auch der Aminoglykoside, erlauben es Böttger nun, gezielt ein Aminoglykosid zu entwickeln, das diese Nebenwirkung nicht mehr aufweist. Die bisherigen Resultate dieser Forschung sind vielversprechend, so Böttger. Bis ein einsatzfähiges Antibiotikum entwickelt ist, dürfte es aber noch eine Weile dauern, denn noch stehen umfangreiche und aufwändige Testreihen an.