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Studie zur Entwicklung im Langstrassenquartier

Langstrasse: Quartier im Umbruch

Dealer, Drogen, Dirnen: Das Quartier rund um die Langstrasse ist Zürichs Sorgenkind. Eine Studie des Geografischen Instituts analysierte die Entwicklung des Stadtteils in den letzten 17 Jahren und zieht eine positive Bilanz.
Marita Fuchs

«Auch wenn in den Augen der Öffentlichkeit der sogenannte Kreis Cheib ein Problemviertel bleibt, so hat er sich doch in den letzten Jahren zu einem lebendigen und attraktiven Wohnviertel gemausert.» Corinna Heye muss es wissen: Sie hat zusammen mit Christoph Craviolini und André Odermatt, einen Bericht zum Langstrassenquartier vorgelegt. Im Auftrag der Stadt Zürich analysierten die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Geografischen Instituts der Universität Zürich für den Zeitraum von 1995 bis 2007 die bauliche, soziale und ökonomische Entwicklung des Quartiers.

Die Entwicklungen im Stadtquartier wurden von den Forschern in so genannten Status-Individualisierungs-Diagrammen visualisiert.

Soziale Polarisierung innerhalb des Quartiers

Eine der augenscheinlichsten Veränderungen im untersuchten Zeitraum, so Heye, sei der deutliche Rückgang der ausländischen Gesamtbevölkerung. Dieser ging – besonders ausgeprägt zwischen 1990 und 2000 – fast vollständig zulasten von Personen aus Herkunftsregionen wie Südeuropa, dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei. Zuwachs aus dem nordeuropäischen Raum bekam das Viertel akzentuiert ab 2004. «Darunter sind viele gut ausgebildete Deutsche, die das grossstädtische und urbane Flair des Langstrassenquartiers schätzen», stellt Heye fest. Über den ganzen Zeitraum nahm die Anzahl Personen mit Schweizer Pass leicht zu, während die Gesamtbevölkerung insgesamt etwas abnahm.

Die Veränderungen der Bevölkerung nach Herkunft und Bildung gehen einher mit einem Statusanstieg des Quartiers. «Dieser begründet sich primär in dem Zuwachs von Bewohnerinnen und Bewohnern mit höherer Ausbildung, die jedoch kein hohes Einkommen haben», führt Craviolini aus. Auf der anderen Seite sei jedoch die Sozialhilfequote deutlich höher als in der Stadt Zürich insgesamt. Also bestehe eine starke soziale Polarisierung innerhalb des Quartiers zwischen gut ausgebildeten Zugezogenen und sozial schwächer gestellten Bewohnerinnen und Bewohnern.

Langstrassenquartier, ein Trendquartier?

Zwischen 1995 und 2005 lässt sich eine starke Zunahme an Arbeitsstätten und Arbeitsplätzen in der Kreativwirtschaft feststellen, dazu zählen etwa grafische Ateliers oder Schneiderwerkstätten. «Das sind – laut sozialgeographischer Theorie – Pioniere. Sie tragen zu sozialen und baulichen Aufwertungsprozessen bei, auch Gentrifizierung genannt.» erklärt Heye. Durch Pioniere angestossen ziehen später die so genannten «Gentrifier» nach.

Pioniere sind zum Beispiel Studierende, Schüler oder Auszubildende sowie Künstler und Bohemiens. Sie etablieren im Stadtteil eine neue Kultur und Infrastruktur aus Gast- und Kulturstätten oder anderen Einrichtungen. Dadurch wird das Gebiet für weitere Personenkreise mit grösserem Portemonnaie interessant. Dies hat zum einen zur Folge, dass vermehrt Liegenschaften saniert werden. Auf der anderen Seite setzt aber auch eine Grundstücksspekulation ein.

Corinna Heye diagnostiziert für das Langstrassenquartier eine «Nach-Pionier-Phase». Das Quartier weise im Zeitraum von 1993 bis 2007 insgesamt eine Zunahme der Neubau- und Sanierungstätigkeit auf, wobei seit 2003 überdurchschnittlich viel gebaut wurde.

Unattraktive kleine Wohnungen

Allerdings seien die Wohngebäude im Quartier mit einem hohen Anteil an kleinen Wohnungen mit durchschnittlich wenig Zimmern nicht attraktiv für Personen mit höheren Wohnansprüchen. Das stehe einer schnellen Veränderung der Bewohnerstruktur entgegen. «Zudem sind die jetzigen Renditen aus Milieunutzungen für die Vermieter hoch und somit besteht für sie wenig Anreiz für eine Änderung der Wohnungsgrössen», sagt Craviolini.

Bisher sei die Entwicklung in Richtung kleinräumiger Veränderungen und moderater baulicher Aufwertung gegangen. Ob in Zukunft grossflächige bauliche Projekte erfolgen, hänge primär von der wirtschaftlichen Lage, dem Investitionsverhalten im Immobiliensektor und vom Handeln aller in die Quartierentwicklung involvierten Akteure ab, führt Christoph Craviolini aus. «Da jedoch bisher nur einige Gebäude saniert wurden, können wir nicht von einer klassischen, grossflächigen Gentrifizierung nach angelsächsischem Vorbild sprechen. Wo jedoch saniert wird, bringt es eine klare Veränderung der Bewohnerstruktur mit sich».

Abschied vom Chreis Cheib?

Insgesamt ziehen die beiden Geografen eine positive Bilanz. Zwar entwickeln sich die einzelnen Teilgebiete des Langstrassenquartiers ungleich und teils in unterschiedliche Richtungen. Während insbesondere die Teilgebiete Engelstrasse, Bäckeranlage und Bezirksgebäude eher stabil seien oder eher aufgewertet werden, ist die Aufwertung in den beiden Teilgebieten in der Nähe der Gleisanlagen geringer. Diese fallen daher relativ zu den anderen zurück.

Voraussetzung für eine fortschreitende Aufwertung sei nicht zuletzt auch die kurz- bis mittelfristige Verfügbarkeit von geeigneten, marktgerechten Investitionsobjekten und Finanzierungsmöglichkeiten zu vernünftigen Konditionen, meinen die beiden Forschenden.